Über die Anmutung eines Objektivs

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    Vor 7 Jahren hat mir ein Forist, der sich damals ‘Radium’ nannte (und zu dem ich erfreulicherweise auch heute noch Kontakt habe) geschrieben, (mein) altes Objektivgeraffel sei höchstens für eine andere, für eine besondere Anmutung gut. Ich hatte damals eine analoge Nikon-Ausrüstung und ansonsten nur Kompaktkameras, wollte aber den Schritt ins DSLR-Lager machen. Und ich hab’ nicht wirklich verstanden, was Daniel meinte aber ich hab’s geglaubt. Und ich hab geglaubt, die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen (war auch richtig, vor 7 Jahren!): Alles neu, keine Rücksicht auf vorhandene, mittelmäßige Objektive.


    Heute hab ich Apparate, die schon bei Offenblende scharfe, fehlerbefreite Bilder liefern und ich fotografiere plötzlich wieder gern mit alten und billigen Objektiven. Die sind nicht scharf, liefern manchmal sehr flaue Kontraste und knallblaue Lensflares, farbige Lichtkanten, Vignetten und Verzeichnungen. Und das sieht in meinen Augen plötzlich natürlicher aus als dieses perfekte Zeug aus der Elektronikretorte (das trotzdem oft seine Berechtigung hat). Und natürlich sieht es erst Recht natürlicher als künstliche Retrosoße.
    Um nicht missverstanden zu werden: es geht nicht drum, dass mir einzelne (oder alle) Unzulänglichkeiten so toll gefallen würden. Es geht drum, dass das natürlich aussieht und nicht zu glatt. Um das, was ich heute von Daniels Rat zu verstehen glaube. Dass Objektive mehr als nur ihre Messwerte in ein Bild mitbringen. Sie haben Persönlichkeit und wirken sich auf die eigenen Fotos viel stärker aus, als es scheint. Anmutung. Und ich weiss, dass er damals genau das meinte.


    Manchmal müssen einfach ein paar Jahre drüber gehen.



    Cosina 2.8/24, offen, contre jour


    Das hier ist völlig unverändert. Da ist nichts am Schwarzpunkt gefummelt, nichts an der Belichtung, einfach manuell belichtet und manuell fokussiert. Das Objektiv hätte ich fast (wieder) verkauft, jetzt wird’s so langsam mein Liebling. Live is thirtyfive!

    • Offizieller Beitrag

    PS: das da oben ist ein Artikel, den ich schon vor längerer Zeit auf meinem Blog veröffentlicht hatte. Das nur als Hinweis, falls gerade jemand ein 'deja-vu' hat ;)


    Gerade jetzt, wo ich damit ringe, ein Hightech-OIS-Powezoom-Minikitglas zu erwischen, das nicht dezentriert ist, ist mir dieser Gedanke wieder gekommen und ich hab den Artikel rausgekramt...

  • Da rennst Du bei mir erwartungsgemäß offene Türen ein. ;)



    (Tamron SP 24-135 aus Analogzeiten an Nikon D300, rares SMC-Pentax 28-80 3,5-4,5 an Pentax K20D, Minolta AF 50 1,7 erste Serie an Sony Alpha 100 mit CCD)


    Ich gehe aber noch weiter und dulde möglichst keine elektronisch korrigierten, digital optimierten Linsen mehr. Gerade aktuell habe ich mich von der mFT-Lumix getrennt, weil mir die glatte und dabei überschärfte und übertriebene Bildanmutung gegruselt hat. :daumenrunter:


    Beispielhafte Bilder habe ich zu Hauf. Muss ich aber erst raussuchen und jetzt bin ich auf dem Sprung.

  • .. dulde möglichst keine elektronisch korrigierten, digital optimierten Linsen mehr...


    Ein wesentlicher Punkt. Mit einem rein optisch/mechanisch adaptierten Objektiv muss die Kamera
    nehmen was an Bild kommt.
    Ich würde es einfach als eine eigene Art der Fotografie bbezeichnen. So begeistert ich von Kontrast,
    Schärfe und Stabilisierung des Systemobjektivs bin - ich möchte auf meine Bilder, die genau die
    chrarakteristischen Eigenschaften des jeweils verwendeten Objektivs wiedergeben, nicht verzichten.




    Diese Aufnahme entstand z.B. mit dem 16mm Zenitar. Es hat eine ganz eigene Farbcharakterisitk und seine Verzeichnungen möchte ich meist nicht korrigiert haben.

    Bilder


    Wir müssen alles erwarten. Auch das Gute.

    (Jo Schück, Aspekte)

    2 Mal editiert, zuletzt von Axel ()

  • Ein schöner Text! Und ich kann das Gefühl, was du empfindest sehr gut nachvollziehen. Die lediglich auf technischen Fortschritt ausgelegte Ausrüstung und die damit umgesetzte Fotografie wirkt auch auf mich z.T eher pefektionistisch.


    Der Begriff der "Natürlichkeit" ist allerdings wirklich sehr schwer zu fassen und wird überwiegend von Subjektivem getragen,von gewohnten Seheindrücken etc. Aber ich weiß was, du meinst.


    Eine vielleicht ähnliche Entwicklung gibt es auch bei den Hifi-Hobbyisten. Da werden teilweise horrende Summen in Anlagen investiert, die in der Lage zu sein scheinen, jeden einzelnen Ton zu isolieren und um ihn genauesten herauszuhören. Was dabei verloren geht, ist das Gefühl, was Musik eigentlich transportieren will. Es klingt klinisch-sauber, aber emotional-vernachlässigt. So wie wiele Hochpixelbilder erstaunliche Detailgenauigkeiten und Auflösung bieten. Ob sie allein deshalb aussagekräftiger werden, ist fraglich.


    ich denke, hier liegt es auch am Fotografen, was er aus den technischen Möglichkeiten macht und wie er sie einsetzt. Aber das Ergebnis ist ein anderes. Manche mögen genau das, anderen bleibt dazu auch ein Verhaftetbleiben in ihren Sehgewohnheiten. Ich empfinde das- wie du wohl auch- als Zugewinn.



    Gruß
    camillo

    Die Wahrheit ist:
    Ich fotografiere viel, kann das aber nicht. Lesen kann ich, tue das aber nicht viel. Gitarre spiele ich zu wenig, und lerne das auch nicht!
    Ich bin glücklich.

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    Ich hatte das oben genannte Cosina nun heute auch wieder auf der Kamera und die leicht milchigen matten und doch so lebendigen Bilder sind einfach der Hammer. Objektiv betrachtet ist es natürlich untoll. Das ist aber total wumpe, wenn die Bilder einfach passen.

    • Offizieller Beitrag

    Der Begriff der "Natürlichkeit" ist allerdings wirklich sehr schwer zu fassen und wird überwiegend von Subjektivem getragen,von gewohnten Seheindrücken etc.

    Da ist auch was dran. Vieles von dem, was wir als vermeintlich natürlich einstufen, hat in Wirklichkeit nicht viel mit echter Natürlichkeit zu tun. Unser Gehirn hat sich einfach nur derart daran gewöhnt, dass wir es für natürlich halten. Das ist auch im Film-Bereich recht ausgeprägt. Ohne das minimale 24-Bild-Ruckeln bei Kameraschwenks kommt uns ein Film nicht mehr wie ein "echter" Kinofilm vor. An die Beleuchtungstechniken der Hollywood-Filmstudios haben wir uns ebenfalls schon so gewöhnt, dass man dieses unnatürliche Licht als natürlich empfindet, usw...

    • Offizieller Beitrag

    Na ja. Mit 'natürlich' meine ich etwas sehr Konkretes. Nämlich ein Bildeindruck, der sich aus wenig mehr als aus den optischen Eigenschaften eines Objektivs beruht. Auf seinem Kontrast, seiner Verzeichnung, Schärfe, Farbe, seinen Schwächen und Stärken. Charakter halt. Natürlichkeit.


    Wenn ich im Vergleich z.B. das geradezu beängstigende Samsung NX 20-50 dagegenhalte, dann werden dort alle Schwächen des Objektivs in der Kamera derart 'gut' kompensiert, dass eine sehr - äh - neutrale Darstellung übrig bleibt. Klar, das kann man jetzt auch natürlich nennen. Ich würde es im Zweifel eher mit anderen Adjektiven belegen: Homogen, hochauflösend, scharf. Solche Wörter wären das. Da ist nichts dagegen einzuwenden. Aber das ist eben nicht alles.

  • Das ist eben nicht alles. Sehe ich genauso.


    Ich glaube dass unser Sehen individuell und subjektiv funktioniert.
    Und wenn ich jetzt mein individuelles, subjektives Bild festhalten möchte dann kann
    das mehr als reines "Ablichten" oder "ins Bild setzen" einer Situation sein.
    Um diese individuelle Sichtweise zum Ausdruck zu bringen habe ich unter anderem verschiedene Objektive.
    Objektive mit unterschiedlichen Eigenschaften.
    Gerade alte Objektive haben ihren Charme durch eine eigene Anmutung.
    Wenn das nicht so wäre hätten die Pinhole- oder Lomofans nicht so viel Spass und so viele Anhänger.
    Für mich gehört das in den Bereich der künstlerischen Fotografie.
    Ein altes Objektiv kann da durchaus ein - bisweilen effektives - Stilmittel sein.

    • Offizieller Beitrag

    Mit 'natürlich' meine ich etwas sehr Konkretes. Nämlich ein Bildeindruck, der sich aus wenig mehr als aus den optischen Eigenschaften eines Objektivs beruht. Auf seinem Kontrast, seiner Verzeichnung, Schärfe, Farbe, seinen Schwächen und Stärken. Charakter halt. Natürlichkeit.

    Mir gefallen solche Unvollkommenheiten ja auch. Aber ich würde wetten, dass wir alle das nicht als "natürlich" einstufen würden, wenn es vor 40, 50 Jahren schon ausschließlich scharfe, kontrastreiche, verzeichnungsfreie Objektive gegeben hätte. Dann wären solche Objektiv-Fehler für uns heute zwar interessante Effekte, die man als Stilmittel einsetzen könnte, aber wir würden das nicht als "natürlich" bezeichnen. Die vermeintliche Natürlichkeit entsteht da meiner Meinung nach eher aus einer gewissen Nostalgie für alte Sehgewohnheiten heraus...

  • Jein


    Ich verwende gern die MAF an der Samsung weil sie die etwas gefälligre, warme Vergütung und damit Abbildung haben, die Samsungs bilden recht kalt,
    fast schon mit leichtem Blaustich ab.


    Ausserdem wurden viele der MAF's mit der Intention ein schönes Bokeh zu erzeugen konstruiert, das gibts heut auch nimmer überall bei den digitalen Rechnungen.


    Dazu sind die Bilder natürlich deutlich weniger bearbeitet, also etwas "natürlicher", analoger und nicht so hart geschärft ohne Verzeichnungskorrektur.


    Der Bildeindruck ist einfach ein Anderer. Das bemerkt man sofort.


    Und grossartige Schwächen habe ich bei den meisten der MAF's nicht wirklich oder nur vereinzelt ein paar Eigenheiten.



    Wobei ab und an auch das super hochauflösendene, scharfe und fast schon makellose gewisser NX Objektive seinen Reiz hat.

  • Die vermeintliche Natürlichkeit entsteht für mich nicht primär durch Abbildungsfehler - wobei Randunschärfen meiner Meinmung nach sehr natürlich sind, ich fokussiere mit den Augen ja auch auf einen konkreten Punkt und das Drumherum muss ich "abscannen".
    Natürlichkeit entsteht in meinen Augen durch eine gewisse Weichheit in der Abbildung, nicht durch überzogene Kontraste, kameraseitig zusätzlich gesteigerte Mikroauflösung, brutale Schärfe.


    Vieles hat natürlich mit Sehgewohnheiten zu tun.
    Hätte man irgendjemanden vor 20 Jahren vor einen modernen, knallbunten Flatscreen-Fernseher gesetzt, mit wachsartigen, übersättigten Gesichtern und überschärften Kanten, Irgendjemand wäre aufs Klo zum k*tzen geflüchtet und glücklich zu seinem Grundig oder Sony Röhrenfernseher zurückgekehrt.
    Heute empfinden "wir" diese knallbunte Plastikwelt auf unsren LG's, Samsungs usw. als normal und ................... : natürlich. :twisted:


    Genauso ist es bei Kameras. Viele relativ dezent abbildende CCD-DSLR's sind heute nicht mehr zu gebrauchen.
    Glatte, bunte, texturarme, dafür brutal kantenaufgesteilte Sony, Nikon oder Olympus-Anmutung mit grauen Schatten sind dagegen das Maß der Dinge. :kaffee:


    Und wer das anders empfindet, ist eben ewiggestrig und nicht ernst zu nehmen.

  • Das "Gespann" Kamera und Objektiv sollte mMn physikalisch möglichst "korrekt" abbilden, d.h. mit möglichst geringen optischen und elektronischen Fehlern, bzw. Korrekturnotwendigkeiten. Hierbei geht es schon um die Qualität des Handwerkzeuges. Was dann mein Auge und meine neurologischen Strukturen daraus machen, ist eine andere Sache. Aber "Fehler" und "Korrekturen" bzw. Bearbeitungen kann man natürlich gestalterisch einsetzten.

    lg, Achim

    (Von mir eingestellte Bilder dürfen grundsätzlich bearbeitet und bei DFT gezeigt werden.)

    • Offizieller Beitrag

    Dazu sind die Bilder natürlich deutlich weniger bearbeitet, also etwas "natürlicher", analoger und nicht so hart geschärft ohne Verzeichnungskorrektur.

    Natürlichkeit entsteht in meinen Augen durch eine gewisse Weichheit in der Abbildung, nicht durch überzogene Kontraste, kameraseitig zusätzlich gesteigerte Mikroauflösung, brutale Schärfe.
    ...
    Glatte, bunte, texturarme, dafür brutal kantenaufgesteilte Sony, Nikon oder Olympus-Anmutung mit grauen Schatten sind dagegen das Maß der Dinge.

    Sehe ich genauso, aber das geht doch schon eher in die Richtung (kamerinterne) EBV und hat für mich erstmal weniger mit den Objektiven als solches zu tun. Im Gegenteil, viele dieser Objektive würden ja eigentlich einen gewissen "Charakter" erkennen lassen, wenn dies nicht durch kamerainterne Zwangskorrekturen (selbst in den Raws!) "optimiert" werden würde.


    Und ich wollte natürlich auch nicht alle früheren Objektiv-Eigenschaften pauschal als fehlerhaft abstempeln, gerade beim Bokeh oder der Vergütung/Farbwiedergabe hat man früher einfach andere Schwerpunkte gesetzt, was einem subjektiv nun besser oder schlechter gefallen kann.
    Ich meinte vielmehr Dinge wie Kontrastarmut, Flares, etc. Das sind in meinen Augen Fehler, die man zwar nett als Stilmittel einsetzen kann, aber als "natürlich" empfinden wir das nur, weil es uns an lieb gewonnene Analog-Aufnahmen erinnert...

  • aber als "natürlich" empfinden wir das nur, weil es uns an lieb gewonnene Analog-Aufnahmen erinnert...

    wäre mal interessant, diese Diskussion mit "Jüngeren" zu führen. Wenn ich da an die +/- 18-20-Jährigen in meinem Umfeld denke, die haben bei Fotos mit "digitalem" Bildeindruck keinerlei Probleme..

    lg, Achim

    (Von mir eingestellte Bilder dürfen grundsätzlich bearbeitet und bei DFT gezeigt werden.)

  • Jüngere sehen ja generell auch anders. Ich glaube an diesem Punkt geht es nicht ohne konkrete Bildbeispiele weiter
    wenn wir das klären wollten.
    Ausserdem habe ich mit meinen Kindern die Erfahrung gemacht dass ihr Sehen auch durch die Werte ihres Umfeldes
    geprägt wird. Da kommt schonmal "schön" bei einem seichten, flauen Kontrastarmen Bild mit passendem Motiv oder
    Meinungslosigkeit bei einem vermeintlich technisch perfekten.


    Wenn ich gerade aus meinem Fenster auf die Natur schaue ergibt sich ein warmes, sonnedurchflutetes Einerlei
    was so als Bild hier garantiert unter "retro" und "unscharf" eingestuft würde :pink:

  • Genauso ist es bei Kameras. Viele relativ dezent abbildende CCD-DSLR's sind heute nicht mehr zu gebrauchen.Glatte, bunte, texturarme, dafür brutal kantenaufgesteilte Sony, Nikon oder Olympus-Anmutung mit grauen Schatten sind dagegen das Maß der Dinge. :kaffee:


    Und wer das anders empfindet, ist eben ewiggestrig und nicht ernst zu nehmen.

    Nachdem du diese Ansicht hier sehr ausdauernd vertrittst, würden mich wirklich mal zwei, drei Vergleichsbilder interessieren.
    Kameras der gleichen Klasse, gleicher Fotograf, gleiches Motiv. Ob es überhaupt so ist und wenn ja, ob's am Sensor oder an der Aufbereitung der Kamera liegt.




    Zum Thema Objektive mit Charakter:


    Manche Bildfehler empfinde ich als schlicht störend:
    - CAs (bunte Ränder an Kontrastkanten)
    - LoCAs (bunte Farbfehler im Bokeh)
    - ungleichmäßige Verzerrungen (Wellenförmig z.b.)


    Andere optische Schwächen können auch ganz spannend sein:
    - geringer Kontrast
    - Kontrastabfall bei Gegenlicht
    - ebenmäßige Verzerrungen (z.b. Fisheye)
    - Flares bei Gegenlicht
    - zu warme Farben



    Persönlich nutze ich zwei alte Nikkore (105/2.5 und 135/3.5) - wenn ich mal Zeit und Muße habe, kann ich die beiden mal mit einem einem modernen auf Schärfe getrimmten Zoom vergleichen.