Der Blick durch die Fotografenbrille?

  • Neulich kam wieder einmal ein Passant auf mich zu, als ich gerade mit meiner Kamera auf dem Stativ auf den richtigen Zeitpunkt zum Auslösen gewartet habe. Ich weiß nicht warum, aber fast immer lautet die erste Frage: "Was filmen sie denn hier?" Ich erkläre dann, dass ich Fotos mache. Daran schließt sich fast immer diese Frage an: "Und was fotografieren sie denn hier?" Manchmal macht mich das etwas ratlos, weil es mir teilweise echt schwer fällt zu verstehen, warum ich das überhaupt erklären muß, warum so viele Passanten das nicht sehen. Selbst wenn ich dann auf die Szene zeige, tun sich manche Leute immer noch schwer damit, da überhaupt irgendeinen Grund zu erkennen, was es da denn zu fotografieren gäbe. Und damit meine ich nicht unbedingt, dass diese Leute nicht meinen persönlichen "Motiv-Geschmack" teilen, sondern sie sehen da einfach überhaupt nichts.


    Ein Grund könnte natürlich der sein, dass viele Leute sich vielleicht nicht vorstellen können, wie ein beliebiges Motiv, das man vor Augen hat, dann als bearbeitetes Bild seine ganze Pracht und Wirkung entfaltet. Natürlich auch durch die Art und Weise, wie eine Szene abgelichtet wird. Aber ich glaube, dass ich vieles einfach durch die "Fotografenbrille" wahrnehme, also quasi mehr oder weniger unbewußt mit den Augen immer auch irgendwie auf der Jagd bin. Ich sehe oftmals viel genauer hin, lasse mir viel mehr Zeit dabei, ändere gerne mal Standpunkt und Blickwinkel, auch ohne die Kamera dabei zu haben. Als wenn der eigene Blick stets durch einen imaginären Sucher erfolgt und man die Umwelt (nicht nur aber auch) nach potentiellen Motiven scannt.


    Und wieder andere Leute sind zwar auch erstmal irritiert, auf was die Kamera ausgerichtet ist, erkennen dann aber recht schnell, worum es geht und zücken dann ihr Smartphone, um auch schnell ein Foto davon zu machen. Diese Leute sind also nicht unbedingt auf der Suche nach einem Motiv zum Fotografieren und sind eher zufällig darauf gestoßen worden, erkennen es allerdings als solches recht schnell.



    Das geht wohl sicher nicht nur mir so, vielleicht habt Ihr ja ähnliche oder aber auch ganz andere Erfahrungen gemacht? :smile:




    Mit liebem Gruß
    Frank

    Der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren. Kierkegaard

  • Naja - Fotografenbrille... Erstmal sagt das ja was darüber wie sehr jeder in seiner ganz eigenen Welt unterwegs
    ist. Und wie subjektiv dabei die Wahrnehmungen sind.


    Ich betrachte die Fotografie als Mittel eben genau solche Dinge darzustellen.
    Im privaten Bereich denke ich dabei an Bilder von meinen Partnerinnen. Eine schaut ganz gelassen
    drauf, eine andere explodiert fast und meint das dürfte niiiieee jemand sehen.
    Und ich denke nur hmm? Ich seh Dich jeden Tag so. Und finde gar nichts dabei ;)


    Also eben Wahrnehmung, das Riesenthema.


    Wenn ich in solche Fragesituationen gerate bleibe ich ganz bei mir und meiner Bildidee und erkläre das.
    Die Einen verstehen sofort, die Anderen gehen kopfschüttelnd weg und wieder andere hatten eigentlich
    nur eine Frage zu ihrer Kamera die sie nicht so direkt stellen wollten :pink:

  • und wieder andere hatten eigentlich
    nur eine Frage zu ihrer Kamera die sie nicht so direkt stellen wollten :pink:

    :mrgreen:



    Also eben Wahrnehmung, das Riesenthema.

    Ja, damit könnte man sicherlich ganze Bibliotheken an Büchern mit Inhalt füllen. Vor allem mit der Vielfalt, die sich da zeigt, eine Sache - zig Meinungen, gerne auch komplett kontrovers. Aber genau das finde ich ungemein spannend, dies besser zu verstehen. :smile:




    Mit liebem Gruß
    Frank

    Der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren. Kierkegaard

  • Bei mir ist das viel einfacher. Wenn ich mein Stativ aufbaue, stehe ich meistens in der Nähe von Gleisen, manchmal an der freien Strecke, manchmal in Bahnhofsnähe. Die Assoziation zur Eisenbahnfotografie ist dann recht einfach. Die Fragen von vorbeilaufenden Menschen lauten meistens: "Welche Lok kommt denn heute? Kommt ein besonderer Zug? Fotografieren Sie auch Dampfloks?" Und wenn Fotografen mit dem gleichen Motivgedanken kommen, fragen sie meistens, ob der Zug pünktlich ist. Oder falls nicht, wieviel Verspätung er schon hat.

    • Offizieller Beitrag

    Ich erkläre dann, dass ich Fotos mache. Daran schließt sich fast immer diese Frage an: "Und was fotografieren sie denn hier?" Manchmal macht mich das etwas ratlos, weil es mir teilweise echt schwer fällt zu verstehen, warum ich das überhaupt erklären muß, warum so viele Passanten das nicht sehen.

    Das kommt mir sehr bekannt vor. :lol:


    Ich lebe nach Jahrzehnten der Fotografie bereits mit einem "fotografischen Blick". Ich sehe alles wie durch einen Kamerasucher. Das ist mir so richtig aufgefallen, als ich mal wieder eine Theatervorstellung zu dokumetieren hatte. Man hatte mir zwei Karten angeboten: eine zum Fotografieren, die zweite, "Damit du die Vorstellung auch mal genießen kannst." Brauche ich nicht, ich genieße mit oder ohne Kamera gleich, ich sehe die Vorstellung auch auf völlig gleiche Art.

    Als Fotograf lernt man Muster zu erkennen. Eine Fähigkeit die
    andere Menschen weniger intensiv trainieren.

    Ja, das auch. Und man hatte meist auch seine Experimentier- und Lernphasen, deren Ergebnisse sich über die Jahre fest verankert haben.

  • Mir ist letztens in Sankt Peter Ording auch ähnliches aufgefallen. Zwar wurde ich nicht angesprochen, aber ich habe beobachtet.
    Ich als sagen wir deutlich fortgeschrittener Fotograf suche mir ein Motiv zur Sonnenuntergangszeit.
    Es war in Sankt Peter Ording die Strandbar 54 Grad. Die Sonne ging so langsam unter, ich hatte ein Weitwinkel drauf.
    Links das Motiv, rechts gibt irgendwo im Bild die Sonne unter. Das ergibt ein stimmiges Gesamtbild. Und dann kommen da andere Hobbyfotografen.
    Kein Stativ, aber das längste Tele was sie sich leisten konnten. Der rote Feuerball muss möglichst formatfüllend auf den Sensor gebrannt werden.
    Da setzt bei mir dann das Unverständnis ein. Was will ich mit einem Foto wo ein riesen Feuerball drauf ist ? Sonnenflecken zählen ?


    Mir ist zum Sonnenauf oder Untergang eh schon ein Phänomen des Menschen aufgefallen. Er will so dicht wie möglich dran sein.
    Stehe ich auf einer Seebrücke die in den Sonnenuntergang führt, laufen mir Menschenmengen durchs Bild weil der Sonnenuntergang vorne ja deutlich spektakulärer ist als am Strand.


    Viele haben noch nicht verstanden dass es für einen guten Bildaufbau mehr braucht als nur die Sonne mittig auf den Sensor zu brennen.
    Ich finde es auch viel interesannter wenn man bei einer Mond oder Sonnenfinsternis das Objekt irgendwie in ein Motiv einbaut.

  • So etwas Ähnliches ist mir bei diesem Bild aufgefallen. Ich habe für dieses Bild das ältere Sigma AF 50/ 1.4 EX DG HSM an der D 750 gehabt. Mein Freund hatte an seiner EOS 7DMKII eine Brennweite von 40mm. die meisten der Fotografen hatten so um die 50 mm Brennweite. Nur ein junger Fotograf kam mit einer einstelligen Nikon und einem Tamron SP AF 150-600 G2 daher. Er hat die Front der Lok, also quasi die Rauchkammertür fotografiert. Da habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht. :???::-o:???::-o:ugly:

  • Kein Stativ, aber das längste Tele was sie sich leisten konnten. Der rote Feuerball muss möglichst formatfüllend auf den Sensor gebrannt werden.
    Da setzt bei mir dann das Unverständnis ein. Was will ich mit einem Foto wo ein riesen Feuerball drauf ist ? Sonnenflecken zählen ?

    Genau darum geht es ja in diesem Thread: man kann sich (auch) als außenstehender (Fotograf) oft nicht der Brille entledigen, die man selbst auf hat.
    Ich hab's schon so oft erlebt, dass ich mit anderen losgezogen bin und mich bei irgendeinem Motiv gefragt habe, was macht der denn da jetzt ... Anschließend war ich durchaus oft verblüfft darüber, was mir an Sichtweisen vor Ort entgangen war. Ich hab's mir daher abgewöhnt, über die Wahl von Perspektiven, Brennweiten, etc. anderer zu urteilen, bevor ich deren Ergebnisse gesehen hab.

  • Genau darum geht es ja in diesem Thread: man kann sich (auch) als außenstehender (Fotograf) oft nicht der Brille entledigen, die man selbst auf hat.Ich hab's schon so oft erlebt, dass ich mit anderen losgezogen bin und mich bei irgendeinem Motiv gefragt habe, was macht der denn da jetzt ... Anschließend war ich durchaus oft verblüfft darüber, was mir an Sichtweisen vor Ort entgangen war. Ich hab's mir daher abgewöhnt, über die Wahl von Perspektiven, Brennweiten, etc. anderer zu urteilen, bevor ich deren Ergebnisse gesehen hab.

    Das ist in gewissen Grenzen natürlich richtig. Aber bei einem Sonnenuntergang mit 300mm muss ich mir nicht viel drunter vorstellen können. Da sieht ein Sonnenuntergang ob nun in Sankt Peter Ording, Zingst, Hawaii oder Florida sicher fast identisch aus. Da will ich drauf hinaus. Es fehlt halt der Eyecatcher, der der in dem Bild zeigt wo es aufgenommen ist.

  • Das ist in gewissen Grenzen natürlich richtig. Aber bei einem Sonnenuntergang mit 300mm muss ich mir nicht viel drunter vorstellen können. Da sieht ein Sonnenuntergang ob nun in Sankt Peter Ording, Zingst, Hawaii oder Florida sicher fast identisch aus. Da will ich drauf hinaus. Es fehlt halt der Eyecatcher, der der in dem Bild zeigt wo es aufgenommen ist.

    Ich verstehe, was du sagen willst - aber ich plädiere dennoch dafür, darüber frühestens zu urteilen, wenn man das Ergebnis derjenigen gesehen hat. Wie gesagt, ich hab schon so oft die Erfahrung gemacht, dass meine Vorstellung darüber nicht ausgereicht hat. Als kleines Beispiel hab ich jetzt mal zwei Fotos desselben Sonnenuntergangs rausgesucht - ich finde, beide haben ihre Berechtigung (das zweite hat übrigens eine KB-äquivalente Brennweite von 308mm, mehr besitze ich nicht)



  • Aber ich glaube, dass ich vieles einfach durch die "Fotografenbrille" wahrnehme, also quasi mehr oder weniger unbewußt mit den Augen immer auch irgendwie auf der Jagd bin. Ich sehe oftmals viel genauer hin, lasse mir viel mehr Zeit dabei, ändere gerne mal Standpunkt und Blickwinkel, auch ohne die Kamera dabei zu haben.

    Sieh es als "Geschenk" an - du hast eine Fähigkeit, die viele nicht haben und kannst dein Umwelt bewusster war nehmen, als es anderen Leuten möglich ist.


    Im Umkehrschluss erwische ich mich immer noch dabei, dass ich glaube ein tolles Motiv entdeckt zu haben und wenn ich dann durch die Kamera schaue, ist es gar nicht mehr so spektakulär. Zumeist habe ich auch keine Ahnung, woran dass dann liegen könnte - mein Blick ohne Kamera ist offenbar aber ein anderer, als durch die Kamera. Manchmal wünschte ich mir schon, ich hätte vorab schon ein Idee, wie was wirken könnte - so laufe ich sicher an vielen kleinen Gelegenheiten einfach vorbei. ;)

    Yakumo Mega-Image 34 - Konica Minolta Dimage A200 - Konica Minolta Dynax 5D - Canon PowerShot G3 X

  • Sieh es als "Geschenk" an - du hast eine Fähigkeit...

    Das mag es durchaus geben, daß jemandem so ein Motivblick in den Genen liegt.
    Meine Erfahrung ist aber daß es einfach Übung braucht. Üben, üben, üben.
    Die ersten zehntausend Bilder sind die schlechtesten. Ich halte diesen alten Spruch für wahr.
    Auch wenn uns die Industrie immer wieder neue Wundertechnik präsentiert ;)


    Alles was es für ein gutes Foto braucht ist ein Mensch und eine Kamera.

  • Selbst wenn ich dann auf die Szene zeige, tun sich manche Leute immer noch schwer damit, da überhaupt irgendeinen Grund zu erkennen, was es da denn zu fotografieren gäbe. Und damit meine ich nicht unbedingt, dass diese Leute nicht meinen persönlichen "Motiv-Geschmack" teilen, sondern sie sehen da einfach überhaupt nichts.

    In Deinem persönlichen Fall kommt möglicherweise noch hinzu, dass Deine Bilder "vor Ort" vermeintlich im Stockdunklen entstehen und Du sie erst am Computer zu dem machst, was sie sind. Ich könnte mir vorstellen, dass ich - wenn ich Dich nachts und bei Regen irgendwo in Hamburg treffen würde - mir auch den Kopf kratzen würde, wo denn DA noch etwas zu fotografieren sei. (Oder: ich erkenne, wen ich da vor mir habe und probiere es an Ort und Stelle auch gleich mal :winke: ).


    Ich selbst erlebe es selten, dass andere sich wundern, wo ich fotografiere. Liegt vielleicht auch daran, dass ich eher im 08-15 Bereich unterwegs bin und die üblichen Sonntagsknipser-Motive ablichte. Ich erlebe es allerdings durchaus öfter, dass (bekannte) andere sich wundern, wieso ihnen von der gleichen Location und Zeit meine Bilder oft besser gefallen als ihre eigenen. Und ich weiß es auch nicht - ich "erlebe" eine Szene ja erst und ganz subjektiv, und dann mache ich mir davon ein paar Bilder. Ob und inwiefern sich meine "Brille" da von anderen unterscheidet, kann ich meist nicht nachvollziehen. Vielleicht sind es die kleinen Details, die den Unterschied machen: Belichtung auf die Lichter, dezente Nachbarbeitung, bewusste Wahl des Ausschnitts und des Formates, und auch die Art und Weise, wie man eine Landschaft oder einen Anblick eben im Sucher drapiert; die Cam ein paar Grad mehr nach links oder rechts geschwenkt, den Horizont ein wenig höher oder tiefer, ein paar mm mehr oder weniger Brennweite, vielleicht etwas bewusstere Gestaltung, ein paar Minuten Zeit nehmen bis das Licht besser passt ... solche Dinge halt. Sieht man nicht auf den ersten Blick, aber offenbar spürt man sie auch als Nicht-Foto-Freak.