Beiträge von bertram

    Ich denke, beide Darstellungen leben von der Faszination (oder soll ich sagen Unzulänglichkeit), dass sie die Realität nur teilweise richtig darstellen. Eine einigermaßen realistische Ansicht erhält man nur, wenn man die Bilder aus kleinem Abstand mit Drehung des Kopfes betrachtet. Bei normalem Betrachtungsabstand geben sie nur Teilaspekte richtig wieder:
    Das Weitwinkelbild lässt gerade Linien gerade, zeigt aber die Größenverhältnisse und Perspektive zum Rand hin falsch. Das gewölbte Panorama zeigt die Größenverhältnisse, wie sie vom Aufnahmestandort zu sehen waren, realistischer, dafür sind Parallelen nicht parallel und überhaupt gerade Linien gekrümmt, und ich glaube auch die Perspektive leidet zum Rand hin. Das mit der Perspektive kommt daher, weil der größere Betrachtungsabstand einen Aufnahmestandpunkt vorgaukelt, der in Wirklichkeit aber viel näher am Motiv lag.

    Danke, jetzt hab ich's kapiert. ;)
    "richtiger" Abstand: das möchte ich so verstanden wissen, dass mein Ziel dahin geht, beim Betrachten des Bilds dasselbe sehen zu wollen wie wenn ich am Ort der Aufnahme stehe und die Wirklichkeit betrachte. Ich meine damit sowohl die Größenverhältnisse als auch die Perspektive.

    Das seh ich auch so. Dann wäre natürlich ein gewölbter Sensor vorteilhaft. Dann würden die Bilder exakt zusammenpassen. Sie wären aber nach außen hin immer noch gewölbt.
    Übrigens: mit ji kann man gewölbte Panoramen zu Weitwinkel-Panoramen entzerren.

    Zitat von "Tri-X"

    Nehmen wir also mal an, ich mache ein Panorama aus 2x2 KB-Aufnahmen mit 50mm, dann ergibt es in etwa das gleiche, als würde ich ein einzelnes Foto mit 50mm machen, aber auf einem 72x48mm großen Sensor (wenn man die Überlappung der Aufnahmen mal außer Acht lässt).


    Hast du bedacht, dass bei Einzelaufnahmen die Kamera, also der Sensor, gedreht wird? Dann müsste man ein Shift-Objektiv nehmen, damit das einwandfrei klappt.

    Zitat

    ich müßte doch meine Normalwinkelansichten zu einem größeren Weitwinkel stitchen können? Kommt ein Panorama aus kleineren Bildwinkeln nicht einem echten Weitwinkel gleich?


    Nein, das klappt nicht. Das liegt daran, dass man von einer zur nächsten Aufnahme die Kamera dreht. Dadurch sind die Abstände nur in Bild 1 (das auf Punkt 0 zielt) äquidistant. In Bild 2 mit gedrehter Kamera wird aus den gleichen Lattenabständen ein nach außen hin deutlich abnehmender Abstand. Beim Stichen ergibt das dann die bekannten gewölbten Panoramas.



    Nachtrag:
    Wie gesagt, gibt das ein gewölbtes Panorama (Zylinderprojektion). Außer das Programm gestattet dir eine Einstellung, die vielleicht Flächenprojektion oder so ähnlich heißt. Dann werden die Bilder wieder entzerrt und man bekommt die Weitwinkelansicht.

    Die kleine Brennweite eines Weitwinkel-Objektivs gestattet uns einen größeren Blickwinkel aufs Bild zu bannen. Bei einem Superweitwinkel z.B. mit 14mm (KB) ergibt das einen diagonalen Winkel von 114 Grad. Das kann man erstens dazu nutzen, einfach mehr aufs Bild zu bekommen, ohne den Abstand zum Motiv zu vergrößern. Und zweitens kann man ein festes Motiv auch bei kleinerem Abstand noch ganz aufs Bild bekommen.


    Weitwinkel-Fotografen schätzen die besondere Wirkung, die solche Aufnahmen erzeugen. Die Perspektive hebt Gegenstände im Vordergrund hervor, weil sie wegen des kleineren Abstands deutlich größer gesehen werden als gleich große Gegenstände im Hintergrund. Die Bilder wirken teils sehr dynamisch. Die Randbereiche der Bilder erscheinen aber irgendwie unwirklich oder verzerrt. Je kleiner die Brennweite, desto mehr fällt das auf.


    Ich habe versucht, mir zu erklären, warum das so ist. Meine These: Weitwinkel verzerren nicht. Die Verzerrung entsteht erst dann, wenn wir Weitwinkel-Bilder nicht mit dem „richtigen“ Abstand betrachten. Denn meist betrachten wir sie in einem Abstand, dessen Blickwinkel viel kleiner ist als der Blickwinkel, der bei der Aufnahme nötig war.



    Nehmen wir ein Superweitwinkel mit einem Blickwinkel von 110 Grad. Damit fotografieren wir einen Gegenstand, der über die ganze Länge gleich breite Abstände aufweist, etwa einen Lattenzaun. In der Abbildung sieht man, dass auch die Abstände der Latten auf dem Sensor exakt gleich groß sind. Das Objektiv ist ja auch so gerechnet, dass die Abbildung möglichst eine zentrische Streckung und damit längen- und winkeltreu ist. Ich habe zusätzlich die Sehwinkel berechnet für die Abstände zwischen den Latten. Diese nehmen natürlich nach außen hin ab, weil die äußeren Abstände weiter entfernt sind und auch nicht frontal gesehen werden. So ist der Sehwinkel für den äußersten Abstand gerade noch ein Drittel eines Sehwinkels in der Mitte. Für unser Auge, das gerade in diese Richtung blickt, erscheint diese Strecke nur ein Drittel so groß. Und auch vertikal sehen wir die Höhe der Latten kleiner als in der Bildmitte.
    Dieses Sensorbild wird jetzt ausbelichtet, z.B. auf 10x15cm, auf 14x21cm und als Poster mit 30x45cm. Wenn wir diese Bilder dann genau so betrachten wollen, wie die Ansicht bei der Aufnahme war, dann müssen wir einen Sehwinkel von 110 Grad einhalten. Und das tun wir in der Regel nicht. Denn bei dem kleinen Bild bräuchten wir dazu einen Betrachtungsabstand von 6cm, beim mittleren 9cm und das Poster müssten wir mit 19cm Abstand betrachten. Am ehesten ginge das noch auf einer 2m-Dialeinwand: wir müssten einen Abstand von 88cm einnehmen. Und um alles zu sehen, müssten wir den Kopf in alle Richtungen drehen. Aber: wir hätten die gleiche Ansicht wie bei der Aufnahme. Zweiflern kann ich nur raten, das mal auszuprobieren! Hätten wir uns die Mühe gemacht, bereits bei der Aufnahme mit den Augen die ganzen 110 Grad zu überblicken, wäre es uns genauso gegangen: wir hätten den Kopf und wahrscheinlich den ganzen Körper deutlich von links nach rechts geschwenkt und auch von oben nach unten.


    Weil wir also einen falschen Betrachtungsabstand wählen, bekommen wir eine Ansicht, die ziemlich verzerrt ist, obwohl doch die Lattenabstände auf dem Bild gleich groß sind! Wie erklärt sich das?



    Nehmen wir an, wir betrachten die Bilder in üblichem Abstand mit einem Blickwinkel von etwa 45 Grad. Dann variieren die Sehwinkel für die einzelnen Lattenabstände nur geringfügig von 4,8 Grad bis 4,2 Grad. Das heißt, sie erscheinen uns fast gleich groß. Und auch die vertikale Länge der Latten erscheint uns fast gleich groß, weil wir ja von allen Latten fast gleichen Abstand haben. Das heißt also, dass wir randnahe Gegenstände im Vergleich zu gleich großen Gegenständen in der Bildmitte deutlich größer sehen als am Ort der Aufnahme, wo sie uns fast dreimal kleiner erschienen.


    Dies kann man bereits feststellen ohne die Dreidimensionalität des Gegenstandraums zu berücksichtigen, allein bei diesem einfachen Sachverhalt eines eben gedachten Lattenzauns. Bei realen Bildern kommt noch dazu: die äußeren Latten sehe ich in Wirklichkeit (am Aufnahmestandort) mehr von der Seite als von vorne. Wenn ich das Bild aber mit Sehwinkel 45 Grad betrachte, sehe ich den Zaun mehr frontal, also erscheinen die äußeren Latten nach außen gedreht. Und ganz fatal wird es, wenn man Gegenstände hinter dem Zaun einbezieht. Diese scheinen nicht am richtigen Platz zu stehen, wenn man das Bild wie üblich mit zu großem Abstand betrachtet.


    Deswegen meine Feststellung:
    1. Weitwinkel verzerren nicht.
    2. Beim Betrachten von Weitwinkelaufnahmen sehen wir (in aller Regel) nur ein Zerrbild der Wirklichkeit, weil wir den „falschen“ Abstand wählen.


    Nachtrag: Weiter unten habe ich noch Beispielbilder angefügt.

    aeirich:
    Das gibt mindestens drei interessante Threads!


    le spationaute:

    Zitat

    Also wenn ich von mir ausgehe, dann haben sich die Betrachtungswinkel sehr deutlich verändert.


    Du musst aufpassen, dass du nicht auch mit n=1 Aussagen machst. :)
    In unserem Fall sollten wir in Betracht ziehen, dass bereits die Altersweitsichtigkeit zuschlägt. Bei kleineren Bildern dürften die Aussagen über Abstände deswegen wertlos sein. Zumindest bei mir, weil ich mich immer noch um eine Brille herumdrücke.


    Zitat

    TTL-Sucher einer KB- Kamera ...


    Ohne es genau durchgedacht zu haben würde ich sagen, dass die Größe des Sucherbilds von der Brennweite des Okulars abhängt und dass die Konstrukteure dieses bei deiner Kamera gerade so gewählt haben, dass bei 50mm KB eine realistische Ansicht zustande kommt. Da gibt es aber ganz unterschiedliche Kameras (Stichwort Sucherbildvergrößerung).

    Das meine ich auch.
    Aber: in der Regel betrachten wir WW-Bilder wegen dieses 45-Grad-Gesichtsfelds in einem zu großen Abstand, als dass sie uns die Realität wiedergeben würden. Deswegen erscheinen uns die Randbereiche unrealistisch verzerrt. Das wäre nicht so bei verkleinertem Betrachtungsabstand.

    le spationaute:

    Zitat

    Bei NICHT vergrößertem Betrachtungsabstand


    Das glaube ich dir nicht. Wenn ich ein 10x15-Bild in der Hand halte und genau betrachte, halte ich einen viel kleineren Abstand ein, als wenn ich vor einem größeren Monitor sitze. Bei kleinen Monitoren gibt es halt noch das Argument, dass eine Tastatur davor Platz haben muss und mein Unterarm. Deswegen hat man dort vermutlich in der Regel einen zu großen Abstand und nutz die 45 Grad nicht aus. Das ist dann suboptimal.
    Aber 35mm niemals! Da müsste ich ein 10x15-Bild im Abstand von 15cm betrachten, dass es wirklichkeitsgetreu erscheint. Und einem Monitor mit 20 Zoll Diagonale müsste ich mich auf 43cm nähern. Ich glaube nicht, dass du das tust, wenn du ein Bild bildschirmfüllend betrachtest.


    Keine Frage: natürlich sehen wir uns sehr häufig Bilder in nicht optimalem Abstand an. Das tun wir grundsätzlich bei stärkeren Teleaufnahmen und bei stärkeren Weitwinkelaufnahmen. Da haben wir gar keine Chance, die natürliche Sicht zu bekommen. In der Gegend von 50mm aber schon.


    Rly:
    Das Gesichtsfeld schließt schon die Bewegung der Augen mit ein. Wenn man etwas fokusiert, ist der Schärfebereich viel kleiner.

    Zitat

    Ein Weitwinkel erkennt ein Mensch am Effekt dass etwas im Vordergrund viel Größer zu sein scheint, als das im Hintergrund, gemäßen am Erfahrungswert.


    Dieses Größenverhältnis wird aber nur vom Standort bestimmt und nicht davon, was du dort für ein Objektiv benutzt. Dieses bestimmt bei festem Abstand nur den Ausschnitt.

    @Ritter:

    Zitat

    ich würde mit dem Wein noch warten


    zu spät! :mrgreen:


    Zitat

    ein 28 mm-Weitwinkelbild wird mir kurz vorm Auge so wenig real scheinen


    Ich hab das schon ausprobiert. Du musst eine Weitwinkelaufnahme so groß ausbelichten, dass du näher ran gehen kannst, als du es gewöhnlich machst. So nah ran, dass der nötige Blickwinkel so groß ist wie der Bildwinkel bei der Aufnahme. Dann musst du den Kopf drehen um alles sehen zu können. Und eine Person, die auf dem Bildrand abgebildet ist, erscheint überhaupt nicht mehr verzerrt!


    Zitat

    Perspektive


    Diese wird einzig und allein durch den Aufnahmestandort bestimmt.


    le spationaute:

    Zitat

    Festlegung auf 45°in diesem Zusammenhang eine reine Willkürlichkeit


    Das mag sein, es hätten auch 43 oder 48 Grad sein können. Auch die 50mm sind halt eine glatte Zahl. Bei 50mm kannst du 5mm mehr oder weniger vermutlich gar nicht auseinanderhalten, wenn du die Bilder nicht direkt nebeneinander siehst. Es stellt sich die Frage, ob die Normalbrennweite überhaupt exakt definiert werden muss. Mir persönlich reicht es, wenn man 50mm normal nennt und ich nachvollziehen kann, warum nicht 35mm oder 70mm.


    Zitat

    Dafür taugt meiner Meinung nach nur eine Größe, die sich aus dem Kamerasystem selbst ergibt.


    Das glaube ich nicht. Es kann uns doch keine Kamera vorschreiben, in welchem Abstand wir die Bilder betrachten.

    Ich meine schon! Wenn du ein 10x15-Bild hast, versuchst du es im Abstand 20cm zu betrachten, weil du dein Sehfeld ausnutzen willst. Das ergibt 45 Grad in der Diagonalen. Wenn du es in diesem Abstand am Aufnahmeort vor das Auge hältst, deckt es exakt die abgebildete Realität ab.
    Wurde hingegen bei der Aufnahme eine größere Brennweite benutzt, erhält das Auge beim Abstand 20cm eine vergrößerte Ansicht. Für eine genaue Abdeckung der Realität müsste man das Bild weiter vom Auge entfernen. Das widerstrebt aber unseren Sehgewohnheiten.

    Interessant! Dieses "Gesichtsfeld" mit seinen 45 Grad würde sich also mit dem decken, was ich Sehgewohnheiten beim Betrachten der Bilder genannt habe: wir versuchen diese 45 Grad auszuschöpfen und gehen entsprechend nah an das Bild heran. (Stefan, dann hätten wir die Probandenzahl n schlagartig erhöht. :) )


    Dann wäre die Argumentation so:
    1. Unser Gesichtsfeld hat einen Sehwinkel von etwa 45 Grad.
    2. Wenn wir Bilder betrachten, versuchen wir diese 45 Grad auszunutzen, damit wir das Bild und damit die Details möglichst groß sehen. Damit bestimmt die Bildgröße den optimalen Betrachtungsabstand (oder umgekehrt).
    3. Die Brennweite von etwa 50mm ergibt ein Bild, das sich bei diesem Betrachtungsabstand exakt mit der realen Ansicht deckt.


    (Diese 50mm treffen beim Kleinbildformat zu, dessen Diagonale 43mm misst. Wenn man das Ergebnis formatunabhängig formulieren will, ergibt sich ganz grob: die Brennweite muss etwa so groß sein wie die Sensordiagonale.)

    Zitat

    empirischer Versuch mit einer Probandengruppe in der Größe n=1


    :mrgreen: Warum nicht (mit entsprechendem Selbstbewusstsein)!


    Zitat

    Wenn von Anfang an der Bildwinkel das Entwicklungskriterium gewesen wäre, wäre es dann nicht wahrscheinlich, dass sich eine entsprechender Angabe auf dem Objektiv durchgesetzt hätte?


    Das glaube ich wiederum nicht, weil Linsen generell durch ihre Brennweite charakterisiert werden. Wegen der in dieser Größe einfacheren optischen Gesetze. Versuch doch mal die Linsengleichung mit dem Bildwinkel auszudrücken!


    Zitat

    Ich glaube tatsächlich vorrangig an die Geschichte mit der Diagonalen des Aufnahmemediums ... Mittelwert ...


    Gegen die Diagonale spricht auch in meiner Theorie nichts (ich komme ja zum selben Ergebnis), außer dass mir bisher keiner erklären konnte, warum gerade das ein Mittelwert zwischen Tele und Weitwinkel sein soll. Ich hab da einfach mal einen Erklärungsversuch gestartet. Woran kann man denn ein Tele oder Weitwinkel erkennen, wenn man nicht weiß, was ein Normalobjektiv ist?

    Hallo Uli,
    nach dem Motto "Versuch macht kluch" habe ich auf dem Stativ schnell zwei Aufnahmen gemacht und dazwischen nur die Brennweite verändert, und nicht den Standpunkt oder die Blickrichtung:



    Wie man sieht, ändern sich die Winkel überhaupt nicht, wenn man die Brennweite ändert. Nur der Ausschnitt ist ein anderer.


    Nachtrag:
    Übrigens ist das auch so eine weit verbreitete Fehlmeinung, dass WW-Objektive zu stürzenden Linien führen würden. Der einzige Grund ist die Blickrichtung schräg nach oben. (Fällt mir nur gerade ein. Hat mit deiner These nichts zu tun.)

    Zitat

    du könntest genau so 70°, 80° oder 90° nehmen können


    Nein, für 70 Grad müsste man ein 10x15-Bild aus einem Abstand von 13cm betrachten, eine 2m-Leinwand aus einem Abstand von 1,7m. Das ist völlig (unmöglich) unrealistisch.


    Nachtrag: die ersten Zahlen waren falsch.