Beiträge von bertram

    Perspektive beachten


    Es gibt Motive, wo perspektivisch verlaufende Linien und Flächen ein wesentliches Stilmittel der Bildgestaltung darstellen, insbesondere natürlich bei Architekturaufnahmen. Immer wieder wird man darauf hingewiesen, man solle stürzende Linien senkrecht stellen oder Kanten an den Bildrändern ausrichten. Wenn ich das dann mache, bin ich nicht immer sicher, ob es "richtig" war. Worauf kommt es denn an?


    Master01 hat in diesem Thread folgende Aufnahme zur Diskussion gestellt (Danke Kai!):



    Die vielen Linien, die in die Tiefe des Raums führen, dominieren das Bild. In der Realität sind diese Linien alle zueinander parallel und waagrecht. Deswegen treffen sie sich alle in einem Fluchtpunkt auf der Horizontlinie. Was offensichtlich stört: Die Fliesenfugen, die links vorne quer dazu verlaufen, bilden mit dem unteren Bildrand einen spitzen Winkel, der Boden scheint dort nach links zu kippen. Ähnlich ist es mit den senkrechten Fensterkanten links und rechts. Sie bilden stürzende Linien nach unten/innen, weil die Bildmitte unterhalb des Horizonts liegt. Man hätte das bei der Aufnahme berücksichtigen können, indem man die Bildmitte auf Höhe des Horizont legt. Die Fensterkanten würden senkrecht stehen. Hätte man die Bildmitte in den Fluchtpunkt gelegt, würden auch die Fliesenfugen parallel zum unteren Rand verlaufen und auch die Stahlverbinder oben wären parallel zum Bildrand. Aber es würden dann rechts wichtige Bildteile fehlen. Und vielleicht wäre das Bild "langweiliger", weil eben der Fluchtpunkt genau in der Bildmitte liegt und links nutzlose Wand hinzukäme.



    Welche Möglichkeiten hat man damit umzugehen? Man kann sagen:
    a) Mir kommt es auf genau diesen Bildausschnitt und den Blickwinkel an. Die Realität (meine Blickrichtung) war eben so. Dass die Bildränder sich etwas mit einigen Linien reiben, nehme ich in Kauf.


    b) Am meisten stören mich die leicht stürzenden senkrechten Linien. Diese richte ich senkrecht aus. (Ich habe bei der Aufnahme nur vergessen, die Kamera waagrecht zu halten.) Dass die Fliesen leicht nach links zu kippen scheinen, ist eine optische Täuschung, die mich nicht stört. Es soll der Bildeindruck, dass ich schräg nach rechts in den Raum geblickt habe, erhalten bleiben.


    Ergebnis b)



    c) Mich stören nicht nur die nach unten/innen stürzenden Linien, sondern auch die nach rechts/innen stürzenden. Ich richte sowohl die senkrechten Fensterkanten, als auch die waagrechten Fliesenfugen und die waagrechten Stahlverbindungen parallel zu den Bildrändern aus. Mein Ergebnis ist dann so, als hätte ich mit einem etwas stärkeren Weitwinkel genau auf den Fluchtpunkt gezielt. Allerdings mit der Einschränkung, dass mir links ein großer Teil des Bilds fehlt. Ich denke mir einfach, ich hätte die Weitwinkelaufnahme links stark beschnitten. Und ich lasse mich nicht verwirren: Der Bildausschnitt sagt mir, dass die Blickrichtung schräg nach rechts in den Raum verlief, die ausgerichteten Linien sagen mir, dass ich genau auf den Fluchtpunkt gezielt habe.


    Ergebnis c)



    Ich stelle mal ein paar Thesen auf, die ich mir zurecht gelegt habe:
    1. Das Bild, das mir die Kamera liefert, ist korrekt. Es ist nicht verzerrt oder falsch. Ich muss Linien nicht ausrichten, damit es richtiger (realitätsnäher) wird.
    2. Allenfalls gibt es das Problem, dass mir das Ergebnis nicht gefällt,
    - weil schräge Linien in Konkurrenz zu den senkrechten und waagrechten Bildrändern treten,
    - weil ich eine Gebäudefront gerne als Rechteck abgebildet haben möchte, obwohl ich die Sensorebene nicht parallel zur Gebäudefront ausgerichtet hatte.
    3. Durch perspektivisches Entzerren gefällt mir manchmal das Ergebnis besser. Die Realität wird dadurch aber nicht richtiger (sondern eher falscher) abgebildet.
    4. Maßstabs- und winkeltreu abgebildet wird eine Figur (z.B. das Rechteck einer Gebäudefront) nur dann, wenn die Sensorebene parallel zu ihr ausgerichtet war. Nicht alle Bildbearbeitungsprogramme schaffen es, beim rechtwinkligen Ausrichten der Kanten Maßstabstreue herzustellen.

    Zitat

    Ich finde mein Bild war ein gutes Beispiel zum Thread `` Fotografieren lernen , heißt Sehen lernen ``


    Meinst du, wir sollten einen Teil dorthin kopieren? Oder mit deinem Bild dort einen Beitrag erstellen? Oder hierher verlinken?

    Zitat

    Achtest Du bei auf die Fluchtpunkte schon bei der Aufnahme , oder erst bei der Bearbeitung ?


    Bei Motiven, wo die Perspektive das Wesentliche ist, schon. Zumindest versuche ich da mit der Bildmitte einen Punkt anzupeilen, der auf Aughöhe liegt. Dadurch vermeidest du schon mal stürzende Linien.

    Hallo Kai,
    ich hab mir folgendes überlegt:
    a) Perspektive
    Das Motiv ist sehr geometrisch und perspektivisch. Dabei kann man als störend empfinden:
    - die leichte Kissenwölbung (sichtbar hauptsächlich ganz links)
    - der kleine Schnittwinkel zwischen unterem Bildrand und Fliesenkante, man hat den Eindruck, der Boden neigt sich links abwärts
    - die nach unten stürzenden Kanten (sichtbar am rechten und auch linken Bildrand), die Kamera war leicht nach unten geneigt
    Hättest du ein starkes Weitwinkel gehabt, hättest du als Fluchtlinie die mittlere Fliesenreihe nehmen können und rechts trotzdem alles aufs Bild gebracht. Und mit Stativ hättest du die Kamera waagrecht ausrichten können. Zusammen bedeutet das: der natürliche Fluchtpunkt der Gebäudekanten wäre identisch mit der Bildmitte.
    Mit ji lässt sich das alles nachträglich ausrichten. Das Ergebnis sieht dann aus wie eine sauber ausgerichtete Weitwinkelaufnahme, die links beschnitten wurde. Die störenden Elemente sind verschwunden.


    b) Bildbearbeitung
    Da hab ich keine besondere Idee. Es ist mir aber aufgefallen, dass das Bild von Natur aus fast ein Colorkey darstellt. Es schadet nicht, die wenigen Farbtöne intensiver zu machen. Das geht gut mit SW-Wandlung und anschließender kräftiger Originalfarbtonung. Und ich meine, es wirkt noch besser, wenn der Weißabgleich noch etwas in Richtung blau verschoben wird.

    f8.0, 1/125 (nochmal das Bild von oben)



    f4.0, 1/640 (Hintergrund etwas weniger scharf)



    @Wuschler: ja, da magst du Recht haben. Beim zweiten Bild jedenfalls macht sich mehr Unschärfe besser.


    Nachtrag: Jetzt muss ich aber doch nachfragen:

    Zitat

    Bei dem Bildbeispiel vorher ...


    Meinst du das erste von den beiden Renaissance-Bildern oder beziehst du dich auf ein Bild weiter oben?

    Manche Motive muss man nicht durch Schärfe/Unschärfe freistellen


    f8.0, 1/250


    f8.0, 1/125


    Als ich vor einiger Zeit das Bild der Renaissance-Figur bei Penum postete, war die erste Reaktion "zu wenig freigestellt", "Blende weiter auf". Freistellung durch unscharfen Hintergrund soll ja den Blick auf das Hauptmotiv lenken, soll Nebensächliches ausblenden, damit man nicht abgelenkt wird. Mein Einwand: Renaissance-Brunnen und Renaissance-Rathaus gehören zusammen, stehen in Beziehung. Wenn das Bild Nebensächliches enthält, dann ist es höchstens der Zaun rechts unten. Die Figur hat der Künstler selber wunderbar "freigestellt" durch Material, Form und Farbgebung, sodass sie sich gut vom Gebäude abhebt.

    Für den ji gibt es ein Demo-Preset "Dunst reduzieren", das manchmal sehr gut wirkt. Das ist eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen: Die hellen Blautöne werden in Sättigung und Helligkeit etwas zurückgenommen. Außerdem kommt ein Rotfilter mit Originalfarbtonung (Registerkarte S/W) zum Einsatz.
    Ich habe den Eindruck, dass du bei deinem Bild einfach auch den Schwarzpunkt etwas anheben könntest. Das schadet eigentlich nur den dunklen Blättern im Vordergrund.

    Beziehungen machen ein Bild lebendig
    Beziehungen zwischen Objekten, zwischen Motiv und Hintergrund, zwischen zwei oder mehr Personen machen ein Bild lebendig. Sie erzählen eine Geschichte oder lassen beim Betrachter eine Geschichte entstehen.
    Hier bilden die Blicke Linien, die das Auge des Betrachters nachzeichnet. Je nach Sichtweise könnte sich auch der Betrachter einbezogen fühlen.


    Modellieren mit Licht
    Frontales Licht macht ein Bild flach, weil Schatten fehlen. Diffuses Licht häufig auch. Seitliches Licht modelliert und bringt Konturen zum Vorschein. In diesem Beispiel hebt es außerdem die zwei Statuen hervor, weil ein Großteil des Hintergrunds im Schatten liegt.



    Hallo Norbert,
    vielen Dank für deinen Vorschlag zur Bedienung des Ausrichtens. Es gibt dazu natürlich verschiedene Konzepte des Herangehens. Unser Konzept ist, ein Gitter dem Bild anzupassen, und das in einem einzigen Vorgang für jede Art des Ausrichtens, sodass das Bild nur einmal berechnet wird. Andere Programme gehen ganz anders vor, in der Regel in Einzelschritten: Drehen, Perspektive, Verzeichnungen.
    Ich verstehe dich so, dass du schon unsere variablen Gitterlinien beibehalten möchtest, die Einstellung des Gitters aber durch Vorgabe einzelner Linien machen möchtest, die man mit der Maus ins Bild zeichnet. Dazu bräuchten wir zunächst ein stimmiges, einfaches, leicht durchschaubares Konzept, wie der User vorzugehen hat, damit am Ende das Gitter seinem Wunsch gehorcht. Das ist vermutlich nicht einfach.
    Zugegeben: Das Einstellen des Gitters mit den Reglern ist manchmal etwas mühsam. Andererseits stelle ich das Gitter immer mit der Maus ein: mit der linken Maustaste dreht man das Gitter. Die rechte Maustaste hat zwei Funktionen: greift man in eine Bildecke, so kann man durch Ziehen die Perspektive verändern. Wenn man gleichzeitig die Umschalttaste gedrückt hält, geht das symmetrisch. Greift man in die Mitte einer Seite, so kann man die Tonnen-/Kissenverzeichnung einstellen.
    Eine feine Nachjustierung geht am besten, wenn du einen Regler anklickst und dann mit den Pfeiltasten arbeitest.
    Da die Programmierung einer solchen User-Schnittstelle unglaublich viel Arbeit macht, möchte ich daran momentan nichts ändern und mich lieber mit anderen Dingen befassen.


    Trotzdem nochmals vielen Dank für deine Überlegungen. ji wäre nicht das, was er ist, wenn nicht ihr User uns ständig mit neuen Ideen auf Trab halten würdet.
    Gruß, Bertram

    Beleuchtung verändern
    Bei direkter Beleuchtung durch die Sonne wirkt die Blüte etwas platt. Ich hab sie so gedreht, dass das Licht seitlich von hinten auf die Blüte trifft und durchscheint. Die Wirkung ist beachtlich.




    Frontales Licht gibt flache Aufnahmen, seitliches Licht oder wie hier seitlich von hinten durchscheinendes Licht modelliert.