Regeln zur Bildgestaltung - Die Viertel-Regel und weitere Tipps

  • Bei "Wünsch Dir ein Userfoto" hatte AndreaK vor kurzem ein Foto eingestellt, welches eine kleine Diskussion auslöste. Ich hatte dazu auch etwas geschrieben, aber mit dem Einverständnis von Andrea schreibe ich zu Ihrem Foto nochmal etwas extra.


    Es gibt ja gefühlt 101 Regel, wie Fotos aufgeteilt werden sollten, damit sie wirken. Der goldene Schnitt, die Drittelregel usw.


    In einem Fotoworkshop hatte mich mal ein Fotograf gefragt, ob ich wüsste, weshalb einige Bilder sofort umgeblättert werden und bei einigen die Leute beim Blättern im Fotoalbum länger verweilen.


    Er erklärte mir, dass ich gedanklich ein Foto in 4 Teile aufteilen soll. Dabei soll unten links und/oder oben links und/oder oben rechts etwas im Bild platziert sein, was den Betrachter fesselt. Unten rechts wirkt dabei nicht. Er erklärte weiter, dass das beim Betrachter unbewusst gesteuert wird, aber das Hirn würde an diesen Stellen eine Information erwarten.


    Hier ein Beispiel von mir mit Aufteilung:



    Hier das gleiche Foto gespiegelt:



    Hier das Original von AndreaK:



    Hier die Spiegelung von Andreas Foto:



    Die Wirkung ist wirklich eine andere.


    Was sagt Ihr dazu? Habt Ihr weitere Tipps, die einem Amateur das Leben leichter machen?

  • Danke für die Erklärung und die Beispiele!
    Ja, da ist wohl was dran. Durch das horizontale Spiegeln verändert sich die Wahrnehmung und damit auch die Bildwirkung.


    Habt Ihr weitere Tipps, die einem Amateur das Leben leichter machen?

    Ich guck mal, da finde ich sicher auch noch ein Gestaltungsbeispiel.


    Ich war mal so frei und habe den Thread-Titel etwas ausformuliert, damit man gleich am Titel erkennen kann um was es in dem Thread geht.

  • Ich habe das auch schon mal gehört, jedenfalls vereinfacht: Motiv links ist besser als Motiv rechts. Erklärt wird das ja durch die Richtung unserer Schrift: Man betrachtet ein beschriebenes Blatt notgedrungen von links nach rechts, oder genauer von links oben nach rechts unten. Interessant wäre mal, ob z.B.für jemanden aus dem arabischen Kulturkreis das Gegenteil gelten würde - Schriftrichtung ist dort ja von rechts nach links.

  • Was sagt Ihr dazu?

    Dass wir Menschen nicht "symetrisch" sehen, ist wohl unbestritten: jedes Bild ändert seine Wirkung, wenn man es spiegelt. Einer pauschalen Aussage, dass unten links und oben rechts was zu sehen sein sollte, würde ich allerdings nicht zustimmen. Es kommt ganz und gar darauf an, welche Wirkung man beim Betrachter erzielen will. Sogar der "verbotene" Mittelhorizont kann - bewusst eingesetzt - eine interessante Wirkung entfalten. Im alten Forum hatte ich mal einen kleinen Thread gestartet, bei dem ich bewusst die üblichen Regeln verletzt habe. Trotzdem haben vielen die Bilder gefallen.


    Es scheint auch Menschen zu geben (auch, aber nicht nur Linkshänder), bei denen diese Art von Wahrnehmung grade seitenvertauscht ist. Und ich selbst (Rechtshänder durch und durch) "lese" Bilder oft intuitiv von rechts nach links. Keine Ahnung, warum - es ist halt so (vielleicht im letzten Leben Araber gewesen?).


    Ganz konkret zu Andrea's Bild: das Original erscheint mir da viel stimmiger als das gespiegelte. Bei Deinem ersten Beispiel dagegen geht es mir genau entgegengesetzt: ich komme mit dem Blick von links, wandere durch das Bild und bleibe dann - erleichtert - rechts an den Grasbüschel hängen wie mit einem Anker. Beim Original stoße ich erst auf das Grasbüschel, und dann kommt nichts mehr - irgendwie unbefriedigend.

  • Motiv links ist besser als Motiv rechts. Erklärt wird das ja durch die Richtung unserer Schrift: Man betrachtet ein beschriebenes Blatt notgedrungen von links nach rechts

    Ja, ich vermute auch, dass dies die Begründung ist.
    Bei den Beispielen von Thomas/Bonobo funktioniert der Effekt obwohl es sich um "statische" Motive handelt und der Grasfleck bzw. der Kadaver eigentlich nur Beiwerk sind.


    Hier mal ein Beispiel, bei dem das Hauptmotiv eher dynamisch ist, bei dem durch die Spiegelung die Bild-Wirkung umgekehrt wird.


    Betrachtet man das Rohr von links nach rechts, dann hat man das Gefühl, als würde man sich mehr und mehr vom Aufnahmestandort entfernen:



    Spiegelt man das Bild und betrachtet das Bild ebenfalls von links nach rechts, dann hat man das Gefühl man würde sich auf den Aufnahmestandort zubewegen:




    Rein gefühlsmäßig und von der Harmonie her würde ich das erste Bild bevorzugen.

  • Vielen Dank für die weiteren Beiträge. Bei den Aufnahmen vom kleinen_Hobbit sehe ich das auch so, dass man sich einmal vom Aufnahmepunkt weg und beim anderen heran bewegt. Ist schon erstaunlich, wie man sich von einem Bild lenken lassen kann.


    Zu den Aufnahmen oben (vom Beginn) kann aber auch sagen, dass nicht in jedem Fall das spiegeln die Lösung ist. Bei meinem Bild hatte ich von vorn herein, den Büschel links unten platziert. Wenn ich das Foto von Andrea gemacht hätte, wäre ich ebenso vorgegangen. Spiegeln geht ja auch nur begrenzt. Sobald irgend etwas im Bild ist, wie Schriften oder Gebäude, die jeder kennt, funktioniert das natürlich nicht. Bei dem Bild von Andrea bot sich für meinen Geschmack der "kleine Dreh" an, da bestimmt niemand weiteres die Situation vor Ort kennt.


    Ich habe das mit dem Überblättern aber mal mit Kollegen an einem Bilderalbum getestet. In vielen Fällen war es wirklich so, dass einige Aufnahmen ganz schnell überblättert wurden, an anderen aber länger verweilt wurde. Das waren überwiegend Aufnahmen nach diesem Schema. Es funktioniert tatsächlich.

  • Dabei soll unten links und/oder oben links und/oder oben rechts etwas im Bild platziert sein, was den Betrachter fesselt. Unten rechts wirkt dabei nicht.


    Motiv links ist besser als Motiv rechts


    Das ist so nicht ganz richtig formuliert. Das Phänomen bedient einen relativen Klassiker, die "seitenverkehrte Präsentation" oder auch das sogen. "Kontern". Üblicherweise wird die Position auf der linken (Bild-)Seite als die akitive, dominate empfunden, die auf der rechten eher als die passive, zurückweichende. Die Begründung des Phänomens wird kontrovers diskutiert, genannt werden sowohl kulturelle als auch neurophysiologische Gründe. In der Werbepsychologe oder auch bei Schulungen zu Power Point usw. wird das gezielt eingesetzt.

    lg, Achim

    (Von mir eingestellte Bilder dürfen grundsätzlich bearbeitet und bei DFT gezeigt werden.)

  • quick and dirty zur Illustration




    P.S.: zur Ente von Andrea:
    Es ist absolut richtig, dass die Ente auf der li. Seite wesentlich bildbestimmender (das wäre hier, glaube ich, der richtige Ausdruck) wirkt als rechts. Unabhängig davon ist aber die Ente definitiv viel zu klein, man erkennt sie kaum als Ente/Tier und der Aufnahmestandpunkt ist einiges zu hoch. Das sind alles so Elemente der, ich nenn das jetzt einfach mal so, "Sehpsychologie". Das Motiv selbst ist übrigens exzellent.

    lg, Achim

    (Von mir eingestellte Bilder dürfen grundsätzlich bearbeitet und bei DFT gezeigt werden.)

    2 Mal editiert, zuletzt von aeirich ()

  • Interessante Diskussion, danke dafür, Thomas! :daumenhoch:


    Ich will einmal berichten, wie ich zu diesem Foto kam:


    Ich stand in dieser riesigen Landschaft, ziemlich überwältigt, bei Wind und über 40°C. Das Auge blieb kaum an irgend etwas Einzelnem hängen, so groß war die Landschaft. Und plötzlich dieser Punkt am Wegesrand. Was das wohl sein mag? Beim Näherkommen erkannte ich dann die Ente. Und wie ich davor stand, war die Ente gefühlt immer noch so ein kleiner, von der Natur völlig unbeachteter, unwichtiger Punkt (was die Ente sicher völlig anders gesehen hätte ;) ).
    Beim Fotografieren hatte ich überhaupt keine Regeln im Sinn, aber den Gedanken, die Ente an den Rand zu stellen, als etwas, das man erst mal bemerken muss und vielleicht auch ein bisschen nähertreten muss, um überhaupt zu erkennen, was es ist. Vielleicht habe ich deshalb instinktiv im Foto die Ente in genau der Größe an den rechten Rand platziert.
    Der Aufnahmestandpunkt war nicht ganz Absicht, ich hatte und habe böse Rücken und kam in dem Moment nicht weiter runter :o_o: Aber das soll nicht als Entschuldigung herhalten, denn das zählt nicht, wenn es um die Bildwirkung geht :mrgreen::mrgreen:


    Nach nochmaligem Betrachten (vor allem des gespiegelten Bildes) würde ich das Foto vermutlich wieder genau so schießen, wie ich es getan habe. Dort im Death Valley hat auch kaum einer den Vogel bemerkt oder beachtet, insofern wäre es für mich wohl in Ordnung, wenn der eine oder andere die Ente nicht sieht und vorbeiblättert. Wenn natürlich überhaupt keiner am Foto hängenbliebe, müsste ich mir das mit meiner Sturheit nochmal überlegen ;)


    Interessant wäre es vermutlich, wenn man das Bild größer irgendwo aufhängen würde und beobachten könnte, wie die Reaktionen so sind :smile:

    Lieben Gruß
    Andrea


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    Auch Wolkenkratzer haben mal als Keller angefangen.

    Einmal editiert, zuletzt von AndreaK ()

  • Nach Betrachten Deiner 2 Fotos, Thomas, sagt mir das untere gespiegelte mit dem rechts platzierten Grasbüschel mehr zu. Vielleicht ist mein Gehirn ja auch falsch verdrahtet :-o

    Lieben Gruß
    Andrea


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    Auch Wolkenkratzer haben mal als Keller angefangen.

  • wird das gezielt eingesetzt.

    Uff, eine Bestätigung, ich dachte schon ich hätte ihn falsch verstanden. :smile:


    Das mit dem spiegeln war nur ein Tipp, um die Ente in den "neurophysiologischen" interessanten Bereich nachträglich zu bringen. Grundsätzlich spiegel ich meine Aufnahmen auch nicht. Ich habe mir aber schon angewöhnt, die Aufnahmen so zu gestalten, dass eben einer der drei relevanten Bereiche mit Interessantem belegt ist. Ähnliches Ding sind Portraitaufnahmen. Irgendwo habe ich mal gelesen, man soll die nicht voll zentrieren, sondern ganz leicht zur Mittelachse versetzt aufnehmen. Wie oben schon geschrieben ... 101 Regel.


    @AndreaK
    Das mit dem Rücken tut mir leid, gute Besserung. Du weißt ja, wo Du ne´ gute Reha beantragen kannst. :twisted:


    Und keine Sorge, dass mit dem Hirn geht schon in Ordnung. Auch mir gefallen beide Versionen. Aber das liegt wohl eher daran, dass dieser Grasbüschel verhältnismäßig groß ist und dadurch das Bild dominiert. Da ist es wohl egal, ob er links oder rechts liegt.


    P.S. Ich stelle mich übrigens zu Blöd an, nach und nach 2 Zitate einzubinden. Daher der zweite Teil als "@".