Goldene Regeln - oder was ...?

  • Zitat von "Subjektiv"

    H1.Ein Bild muss immer rasierklingen-scharf sein. Und zwar möglichst bis in die letzte Ecke! Dazu kommen bevorzugt Vollformat-Sensoren, Festbrennweiten und Stative ab 10kg Eigengewicht zum Einsatz. Kleinere Unschärfebereiche, auch und vor allem bei weniger wichtigen Bildelementen, sind keinesfalls zu tolerieren. Freistellung durch Hintergrund-Unschärfe ist im genehmigungspflichtigen Einzelfall erlaubt, aber nur wenn ein eindeutig benanntes Hauptmotiv wiederum superscharf ist.


    Wobei die aktuelle Galerie-Veröffentlichungs-Regel ja eher lautet: Nur ein extrem begrenztes Detail darf rasierklingen-scharf sein. Der Rest muss in perfektem Vollformat-mit-1,4/50er-Bokeh verlaufen. Nur um sicherzustellen, dass niemand mit einer Kompaktknipse sich beteiligt. ;)


    Aber nun ernst. Denn wir sind ja nicht zum Spaß hier. Regeln sind in allen Kunstformen extrem wichtig. Egal, ob beim Malen, beim Musizieren oder auch beim Fotografieren. Regeln sind die Basis, um das Handwerkszeug beherrschen zu lernen. Wenn man die Regeln kennt und weiß, wo und warum man sie einsetzt, dann kommt Schritt zwei: Das gekonnte und kunstvolle Brechen der Regeln! Und wenn man diesen Level erreicht hat, kann man Werke schaffen, die sich positiv (!) vom Einheitsbrei abheben. :cheers:

  • ...Fast all die Punkte, die oben genannt wurden, missachte ich und nutze diese negativen Eigenschaften, um dem Bild Leben einzuhauchen.


    Stürzenden Linien?, Da kann man richtig verrückte Sachen draus machen. Flares, Vignettierungen und andere optische Fehler? Ich suche mir die Linsen gezielt nach der Wirkung der Fehler aus. Ich liebe Flares und knackige Vignettierungen bei Offenblende. Der Horizont ist schief?, wenn er nicht das Hauptmotiv ist, kann der im 45° Winkel durchrauschen, völlig egal. Das Bild rauscht? Sieht gut aus, wenn die Struktur stimmt. Bildbereiche sind ausgefressen, oder schwarz? Man muss wissen, wann man es macht, bei Gegenlicht Portraits ein ganz normales Spiel, ebenso bei harten SW Aufnahmen. Bei Landschaften sollte es nicht sein. Achso, Gesichter sollten ihre Struktur schon behalten dürfen.


    Man kann sich an solche Regeln halten, oder man bricht sie absichtlich... .

    • Offizieller Beitrag
    Zitat von "dirk gently"


    Zitat von "Der lens-flare.de Blog"

    Sich an Regeln halten ist schön, sie zu brechen noch viel schöner! Und damit dabei auch was ansehnliches entsteht, gibt euch Martin Krolop Hinweise, was dabei zu beachten ist.

    :lol: Regeln wie man Regeln bricht! :lol::thumbup:


    Das ist übrigens eines der Kernprobleme: Der Regelbruch ist en vogue! Eine Mode. Und eine ziemlich billige dazu denn das Label 'Regelbruch' taugt dazu, jede Wertungsmöglichkeit zu negieren, jeden Sch*** zu adeln.


    Regeln sind wichtig. Nur Rezepte finde ich schwach. Und einige der im Eingangsposting aufgezählten Sachen sind eher Rezepte ;) .

    • Offizieller Beitrag
    Zitat von "BWH"

    was mich noch interessieren würde, was war zuerst da, das gute Bild oder die Regel dazu ( Henne oder Ei ? ) .....


    Das wird schwierig, denn...

    Zitat von "le spationaute"

    Die Entdeckung und Erarbeitung, Verfeinerung, Fortschreibung über Mediengrenzen (Malerei, Plastik, Architektur, Fotografie, Grafik usw.) hinweg und Abwandlung bis zum Bruch der geschmähten Regeln hat ein paar tausend Jahre Geschichte.

  • Gleichzeitig, das waren zweieiige Zwillinge. :P


    Aber wie ich schon schrub, Regeln sind ja nicht allgemeingültig bzw. sie sollten es nicht sein. So kann z.B. ein durch und durch scharfes Bild mit absolut geradem Horizont genauso nach allen Regeln der Kunst gestaltet sein, wie ein durch und durch unscharfes mit völlig schiefem Horizont.


    Regeln einfach nur um des Brechens willen zu brechen, kann jedenfalls auf Dauer nur nach hinten losgehen. Man sollte schon wissen, warum man dieses oder jenes nicht beachtet, was man damit erreichen will usw. Und dann einfach nur die Dauerausrede "für mehr Dynamik" zu bringen, gibt keinen schönen Tierstempel zur Belohnung.

  • Zitat von "le spationaute"

    Das wird schwierig, denn...


    Was ich meinte, es gibt ja z.B. Forscher die erforschen, warum ein Mensch schön und der andere hässlich ist bzw. als solches empfunden wird, Größe der Augen, Abstände der selbigen, Proportionen, Symmetrien, Formen usw. usf. .....


    So ähnlich könnt's ja bei den Bildern auch gelaufen sein ( warum ist dieses Bild gut und das andere nicht, und daraus entwickelten sich 'Regeln'.... )

  • Die Regeln werden aber dauernd neu gebildet, geändert usw. weil sich auch das ändert, was wir als schön oder interessant epmfinden. Das zeigt sich ja genauso in der Musik, der Malerei, im Film etc. Auch wenn das alles immernoch auf den gleichen, teils sehr alten, Grundlagen aufbaut, hat es sich allein in den letzten 30 Jahren doch immer wieder stark verändert.


    Und da geht es wieder auf die schon oft angesprochenen Grundlagen zurück. Wenn man die kennt, kann man Regeln bilden, einhalten oder brechen, und sich auf fast alle Geschmäcker bzw Bedürfnisse (und seien es "nur" die eigenen) einstellen.

  • Zitat von "BWH"

    was mich noch interessieren würde, was war zuerst da, das gute Bild oder die Regel dazu ( Henne oder Ei ? ) .....


    Geschmack und Gefühl für Harmonie waren zuerst da.

  • Zitat von "FrankDpunkt"

    Geschmack und Gefühl für Harmonie waren zuerst da.


    Genau, und wie der Mensch halt so ist, versucht er dafür natürlich gleich wieder Regeln einzuführen ....

  • Zitat von "BWH"

    Genau, und wie der Mensch halt so ist, versucht er dafür natürlich gleich wieder Regeln einzuführen ....



    nein, du ignorierst beflissentlich dass diese Regeln nicht eingeführt sondern lediglich als "Muster" erkannt wurden.
    Die Grundmuster einer musikalischen Komposition wurden nicht stur festgelegt, sondern man erkannte, wenn ein Musikstück nach diesen "Regeln" aufgebaut wird, dann gefällt es.
    Das biologische Kindchenschema zum Beispiel hat die Evolution "festgelegt".
    Uns gefällt es.
    Warum?

  • Zitat von "FrankDpunkt"

    nein, du ignorierst beflissentlich dass diese Regeln nicht eingeführt sondern lediglich als "Muster" erkannt wurden.Die Grundmuster einer musikalischen Komposition wurden nicht stur festgelegt, sondern man erkannte, wenn ein Musikstück nach diesen "Regeln" aufgebaut wird, dann gefällt es.Das biologische Kindchenschema zum Beispiel hat die Evolution "festgelegt".Uns gefällt es.Warum?


    Ich glaub, wir meinen das Gleiche ...... glaub nämlich auch, daß zunächst das gute Bild da war, und man sich hinterher Gedanken gemacht hat, warum es gut ist und daraus eine Regel gemacht wurde oder meinetwegen auch als Muster erkannt wurde ...

  • Ha, ich freue mich auf den Tag, wo ich Reglen bewusst breche, weil mir das Bild einfach so gefällt :pink:
    Im Moment mache ich es nur, weil ich es nicht besser kann...


    Ich hatte letztens eine gewünschte Bildkritik über den Schnitt geschrieben und auch auf Regeln hingewiesen.
    Im Grunde ein witziges Bild, habe es für mich aber im anderen Schnitt viel besser gefunden.
    So kamen unterschiedliche Meinungen zusammen. Dem Einen gefällt es und dem Anderen eben nicht.
    Es gibt Bilder, die wirken z. B. nur mittig und schon ist die 2/3 Regel für die Füße.
    Ist doch alles nur eine Frage des Betrachters und dessen Idealvorstellung ;)

  • Ohne jetzt auf die einzelnen Punkte einzugehen folgendes für mich geltend!


    Ich Fotografiere seit über 40 Jahren. Anfangs war ich erpicht darauf alles zu Erlernen was es nur auf diesem Sektor zu Lernen gab.
    Die grundlegenden Regelungen Schnitt/Standpunkt usw. habe ich aufgesogen und sie sind mir in der Zwischenzeit zu einer *zweiten Haut* geworden und ich muss mich nicht mehr darauf konzentrieren- Mein Augenmerk liegt auf den Objekten die sich so am *Straßenrand* oder auch sonst wo präsentieren.
    Unwillkürlich bewege ich mich heute in diesem vorgegebenen Radius ohne es wirklich selbst zu merken- stelle nur nach der Aufnahme fest, OK, hast es passend gemacht auch wenn es das Objekt nicht unbedingt hergegeben hat.
    Ich Fotografiere aus dem Bauch heraus unter unmerklicher Beeinflussung diese Regeln- was ich absolut nicht tue ist, nach einem Motiv zu suchen- ICH mache aus einem gesehenem Objekt ein Motiv und dies ist der gravierende Unterschied zu den allgemeinen Fotografieregeln, nur dafür muss man auch ein Auge haben und dies ist nun mal nicht jedem User, der meint er hat jetzt ne DSLR und es funktioniert alles von alleine, gegeben.
    FAZIT: Regeln sind da um sich in den Anfängen ein *Grundwissen* zu verschaffen um es dann, wenn man es verstanden hat, entsprechend einsetzen zu können, wobei hier auch eine Variable, im Sinne der Gestaltungsfreiheit, hinein gehört.


    Aber nach wie vor heißt es üben, üben und nochmals üben......wie sagte schon mein Gymnasiallehrer in grauer Vorzeit :mrgreen:
    *Noch ist kein Meister vom Himmel gefallen und wer sich nicht nach der Decke streckt dem bleiben die Füße unbedeckt!
    ANNO DOMINI 1960 :ugly::winke::cheers::duck:


    LG
    Ernst

  • Zitat von "FrankDpunkt"

    nein, du ignorierst beflissentlich dass diese Regeln nicht eingeführt sondern lediglich als "Muster" erkannt wurden.
    Die Grundmuster einer musikalischen Komposition wurden nicht stur festgelegt, sondern man erkannte, wenn ein Musikstück nach diesen "Regeln" aufgebaut wird, dann gefällt es.

    Was in dem einen Kulturkreis der Konvention entspricht, kann in einem anderen verstörend wirken (insbesondere in der Musik).
    Sehgewohnheiten können sich z.B rasch ändern. Insofern sind diese 'Regeln' keineswegs mit Naturgesetzen zu vergleichen, sondern fußen auf dem jeweils aktuellen kulturellen Hintergrund.

    Von mir eingestellte Bilder dürfen bearbeitet und bei dft gezeigt werden.

  • Den Vorschlag, die "Regeln" besser als "Rezepte" (@la spationaute) oder "Konventionen" ( Belastungstester) zu bezeichnen, finde ich gut. Dann aber stellt sich die Frage wie beim Kochen: wenn ich immer nach bewährten Rezepten vorgehe, ist das Ergebnis vorhersehbar und normalerweise auch genießbar, aber auch etwas abgedroschen. Es gibt heute ganz gute, von Spitzenköchen entworfene Tütensuppen, aber es bleibt halt eine Tütensuppe, oder?


    frank D. und spationaute: Das ist eine sehr interessante Ansicht, die Ihr das vertretet. Ich verstehe Euch so: es gibt so etwas wie allgemeingültige Grundsätze der Ästhetik, und die kann man - über die Jahrhunderte hinweg - "entdecken". Diese Wahrnehmungsprinzipien sind aber allen Menschen gleichermaßen eigen, also quasi angeboren, und deswegen bewertet die Mehrzahl dieser Menschen Bilder (u.a. Kunstformen) bewusst oder auch unbewusst nach diesen ewigen Prizipien. Richtig so? Also, ich habe meine Zweifel daran, denke eher, solche Prinzipien sind eher Mode-Erscheinungen und somit von einer Gemeinschaft aktuell "anerzogen" (schau Dir mal das künstlerische Ideal von Frauenkörpern vom Barock bis heute an!). Aber beweisen kann ich das natürlich auch nicht ...


    Und WENN sie nun nur Mode-Erscheinungen sind: besteht dann nicht die Gefahr, sie überzubewerten und ihnen damit eine Gültigkeit zu verschaffen, die sie gar nicht haben? In anderen Worten: der "mainstream" sind WIR! :twisted:


    Ich habe auf diversen Foto-Foren halt den Eindruck, die benannten Regeln werden manchmal vorschnell zur (Ab-)Wertung herangezogen: ein paar wenige Lichter sind überstrahlt, also kann das Bild nicht wirklich gut sein. Die innere Offenheit, das Bild subtil auf sich wirken zu lassen, seine versteckte Qualität zu erkennen - bringen wir die wirklich mit? Und ab wann ist der Horizont wirklich schief: ich habe hier schon Diskussionen unter Bildern gesehen, wo man das wirklich nur mit einem Schreiner-Winkel feststellen konnte, also im Bereich von unter 0,5 Grad. Ist das dann wirklich ein Qualitätskriterium, dass mit EBV mathematisch exakt eingestellt werden muss?


    mol, manolo und icebear: Danke für Eure augenzwinkernden Ergänzungen und Interpretationen - fühle mich so richtig verstanden. :lol:


    So, und um die Diskussion noch ein bisschen anzufachen, werde ich in der nächsten Zeit mal ein paar grobe "Verstöße" in die Galerie einstellen - und sei es als Ermutigung für die Westentaschen-Cam Besitzer (gibt's die eigentlich noch?). Ein Bild sagt ja bekanntlich mehr als 1000 Worte ...


    Danke für die tolle Diskussion soweit
    gruß Subjektiv

  • Natürlich gehen die "Regeln" auch mit der Zeit. Die schon mehrfach angesprochenen technischen und fotografischen Hintergründe gelten und galten aber immer, und sind deswegen auch so wichtig, wenn man sich ernsthaft mit der Fotografie befassen möchte.


    In der Musik ist es nicht viel anders. Dass die gleiche Musik in verschiedenen Kulturkreisen sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, wurde ja schon angesprochen. Aber auch in Deutschland/Europa hat sich das immer wieder verändert und folgt abhängig vom Musikstil auch heute nicht den gleichen Regeln, aber den gleichen Grundlagen.


    So kann z.B. ein Akkord in der einen Musikrichtung als "einwandfrei" Dissonant empfunden werden, und der unbedingten Auflösung nach einem "angenehmen" Dur- oder Moll-Akkord bedürfen, während der gleiche Akkord in einer anderen Musikrichtung als Konsonant und nicht auflösungsbedürftig wahrgenommen wird. Und das wohlgemerkt von der gleichen Person.


    Ich glaube nicht, dass irgendwem angeboren ist, was man als angenehm, schön, ästhetisch etc. betrachtet. Bzw. wenn, dann nur individuell und in ganz rudimentären Zügen, nicht für alle Menschen (auch nicht für die Mehrzahl eines Kulturkreises) und schon garnicht im Detail. Wir werden in meinen Augen nur vom Tag der Geburt an durch die Umgebung und die Berieselung der Medien dahingehend geeicht.

  • Zitat von "Subjektiv"


    Ich habe auf diversen Foto-Foren halt den Eindruck, die benannten Regeln werden manchmal vorschnell zur (Ab-)Wertung herangezogen: ein paar wenige Lichter sind überstrahlt, also kann das Bild nicht wirklich gut sein. Die innere Offenheit, das Bild subtil auf sich wirken zu lassen, seine versteckte Qualität zu erkennen - bringen wir die wirklich mit? Und ab wann ist der Horizont wirklich schief: ich habe hier schon Diskussionen unter Bildern gesehen, wo man das wirklich nur mit einem Schreiner-Winkel feststellen konnte, also im Bereich von unter 0,5 Grad. Ist das dann wirklich ein Qualitätskriterium, dass mit EBV mathematisch exakt eingestellt werden muss?


    Solche "messbaren" Regeln sind offensichtlich und einfach zu benennen, darum denke ich sind diese Wertungen so beliebt.. Eine genauere Beschreibung der eigenen Wahrnehmung erfordert mehr Aufwand.. Mir geht es allerdings oft so, dass mir ein solch offensichtlicher Fehler auffällt, den ich bei der Betrachtung des Bildes auch nicht ausblenden kann und mir damit das Bild versaut.. Und gerade ein nur leicht schiefer Horizont stört mich oft mehr als ein deutlich (möglicherweise absichtlich) schiefer..


    Um dazu mal Beispiele zu zeigen.. Bei diesen beiden Bildern stört mich der schiefe Horizont nicht: LINK1LINK2
    Diese beiden kann ich nicht betrachten, ohne mich an dem schiefen Horizont zu stören: LINK3 LINK4