Goldene Regeln - oder was ...?

  • Hallo Leute,


    wenn man so durch das eine oder andere Foto-Forum geistert, stößt man bei den Kommentaren häufig auf bestimmte mainstream Meinungen und Maßstäbe, denen die ausgestellten Bilder implizit oder explizit unterworfen werden. Auch wenn solche Regeln (derzeit) mehrheitsfähig sind, meine ich, dass es sich lohnt, sie immer wieder mal auf den Prüfstand zu stellen. Dazu habe ich mal 10 "Goldene" formuliert, um sie zur Diskussion zu stellen. Stimmt Ihr zu, lehnt Ihr sie ab? Gibt es weitere wichtige Anleitungen auf dem Weg zum automatisch perfekten Foto? Unterstützende oder Gegenbeispiele (gerne verlinkt), Vergleiche? Auf dass der Spaß nicht zu kurz kommen möge, sind meine Startpositionen mal etwas überspitzt formuliert - also:


    1.Ein Bild muss immer rasierklingen-scharf sein. Und zwar möglichst bis in die letzte Ecke! Dazu kommen bevorzugt Vollformat-Sensoren, Festbrennweiten und Stative ab 10kg Eigengewicht zum Einsatz. Kleinere Unschärfebereiche, auch und vor allem bei weniger wichtigen Bildelementen, sind keinesfalls zu tolerieren. Freistellung durch Hintergrund-Unschärfe ist im genehmigungspflichtigen Einzelfall erlaubt, aber nur wenn ein eindeutig benanntes Hauptmotiv wiederum superscharf ist.
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    2.Kein Bildbereich darf überstrahlt («ausgefressen») oder komplett schwarz («abgesoffen») sein, und sei es irgendein noch so kleiner Bereich in den Wolken oder Reflexionen auf dem Wasser. Bei Sonne als direkter Lichtquelle im Bild (Gegenlicht) ist auf eine hinreichende Struktur der Sonnenoberfläche zu achten. Überstrahlte Pixel lassen sich elektronisch ermitteln und sind grundsätzlich undiskutabel, während Schwarzstellen bis zu 1% der Gesamt-Bildfläche u.U. akzeptiert werden.
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    3.Lens-flares bei Gegenlicht-Aufnahmen, egal welcher Größe oder Stärke, zeugen in jedem Fall von minderwertigen Optiken (sogenannten Flaschenböden) und führen automatisch zur Disqualifikation. Lens flares lassen sich ja auch einfach vermeiden, indem man die Lichtquelle immer exakt in der Bildmitte positioniert!
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    4.Keine Gnade bei tonnenförmigen oder kissenförmigen Verzeichnungen! Auch wenn das Vergehen nur mit einem hochwertigen Schreiner-Winkel nachweisbar ist – wehe dem, der dabei erwischt wird!
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    5.Keine Chance den stürzenden Linien. Was für Anfänger aussehen mag wie eine natürliche Fluchtpunkt-Perspektive in vertikaler Richtung (Türme verjüngen sich nun einmal scheinbar nach oben hin), ist im Zeitalter der elektronischen Biegevorrichtungen nicht zulässig: stürzende Linien sind in jedem Fall zu begradigen, und sei es auf Kosten völlig verzerrter Proportionen.
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    6.Niemals – ich wiederhole: niemals - darf der Horizont in der Mitte verlaufen! Auch dann nicht, wenn Ruhe und Stabilität vielleicht grade zur Bildaussage gehören, oder wenn durch Farben und vertikale Formen ein spannender Gegenakzent gesetzt wird. Mittige Horizonte führen automatisch und immer zur Abwertung.
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    7.Noch schlimmer als mittige Horizonte sind schiefe oder gebogene Horizonte. Erfahrene Fotografen und Bildkritiker haben immer einen laser-justierten Maschendraht vor ihrem Bildschirm gespannt und decken unbarmherzig Abweichungen ab fünf Bogenminuten auf.
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    8.Fließendes oder spritzendes Wasser darf ausschließlich in Langzeitbelichtungen dargestellt werden. Die früher gelegentlich noch praktizierte Unart, Wasser mit Verschlusszeiten kürzer als 1/10 sek. darzustellen, führt bei unerfahrenen usern zur Verwechslung mit Eiszapfen und hat auf modernen Foren nichts verloren. Einzige Ausnahme: das Spezialgebiet einschlagender Wassertropfen.
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    9.Pixel-Rauschen ist eine Todsünde, ebenso wie das «Verschmieren» von winzigen Details wie z.B. einzelnen Haaren oder Sandkörnern über Rauschunterdrückung, egal ob letztere kameraintern oder per Software nachträglich vorgenommen wird. Wer nicht über großformatige Sensoren und lichtstarke Objektive verfügt (sondern z.B. über eine praktische, kleine Westentaschen-Kamera), hat das Fotografieren deshalb mit Beginn der Dämmerung einzustellen.
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    10.Bei Portraits ist darauf zu achten, dass die gesamte sichtbare Haut eine homogene Fläche darstellt. Natürliche Unregelmäßigkeiten (Sommersprossen, Fältchen etc.) entsprechen nicht dem Trend zum perfekten Körper und sind deshalb mit Schminke oder schlimmstenfalls per Software vollständig zu eliminieren.
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    Bin gespannt auf Eure Meinungen,
    gruß subjektiv


    P.S.: "Themengalerie" ist vielleicht nicht exakt die richtige Kategorie für diesen Thread, aber "Fotografie-Praxis" erschien mir ganz sinnvoll, und eine Kategorie für "Bildgestaltung" gibt es interessanterweise nicht. Bitte an die admins, den thread ggfs. umzuhängen.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat von "Subjektiv"

    P.S.: "Themengalerie" ist vielleicht nicht exakt die richtige Kategorie für diesen Thread, aber "Fotografie-Praxis" erschien mir ganz sinnvoll, und eine Kategorie für "Bildgestaltung" gibt es interessanterweise nicht. Bitte an die admins, den thread ggfs. umzuhängen.


    Ich habe es mal in den Bereich "Aufnahmetechnik" verschoben.

  • Es ist ja so:


    1.) Ein Bild wird nicht automatisch gut, weil Regeln beachtet wurden
    2.) Ein Bild wird nicht automatisch schlecht, weil Regeln beachtet wurden
    3.) Ein Bild wird nicht automatisch gut, weil Regeln nicht beachtet wurden
    4.) Ein Bild wird nicht automatisch schlecht, weil Regeln nicht beachtet wurden


    Es ist auch nicht wichtig, Regeln zu kennen oder sich immer an sie zu halten. Es ist aber in meinen Augen sehr wichtig, die fotografisch-technischen Hintergründe zu kennen und wie sie sich auswirken, damit man sie bei Bedarf bewusst anwenden oder eben ignorieren kann. Daraus Regeln zu formulieren, macht wenig Sinn. Und noch weniger, wenn man sie für allgemeingültig erklärt.


    Ein gutes Fotobuch wird einem auch nie oder nur sehr selten vorschreiben, wie man etwas zu machen hat. Es wird einem aber erklären, wie man bestimmte Dinge erreichen oder vermeiden kann.



    P.S.: Die Ironie wurde natürlich erkannt und das oben gesagte richtet sich nicht gegen den TO.

  • Zitat von "Subjektiv"

    Stimmt Ihr zu, lehnt Ihr sie ab?


    Ich lehne alle "Regeln" als allgemeingültig ab.. Es gibt sicher Bilder, bei denen ein "Verstoß" gegen eine oder mehrere dieser Regeln das Bild für mich versaut, aber genauso gibt es Bilder, die ich trotz (oder sogar wegen) "Regelverstoß" super finde..


    Oder anders gesagt: Die Bildqualität ist nicht quantifizierbar.. ;) oder noch anders: Geschmack ist nicht messbar..

  • Zitat von "bertram"

    Lese ich aus den vorigen Beiträgen heraus, dass überhaupt kein Zusammenhang besteht zwischen Beachtung von Regeln und einem guten Ergebnis?


    Das wollte ich nicht sagen, nur dass die Einhaltung von Regeln kein gutes Ergebnis garantiert. Und dass Regeln (wenn man den Begriff denn benutzen will) eher für das einzelne Bild oder eine zusammenhängende Serie individuell aus den Kenntnissen der Zusammenhänge gebildet werden sollten.

  • Der Formulierung deiner 10 goldenen Regeln kann man schon entnehmen, dass du rein gar nichts davon hältst :mrgreen:


    Bis auf zwei deiner Punkte stimme ich dir durchaus zu, aber:


    1. tonnen- und kissenförmige Verzeichnung sind bei entsprechenden Motiven (z.B. Säulengänge, Graphisches...) eine Scheußlichkeit. Wenn ich nicht die Mittel hätte, sowas zu korrigieren, würde ich entsprechende Bilder nur zur Erinnerung behalten oder mich beim Hochladen in der Galerie nicht über Kritik wundern.
    2. Ein schiefer Horizont aus Nachlässigkeit (ohne "künstlerischen Aspekt") ist Käse und kein Grund, den Kritiker als Galerieclown zu bezeichnen... Die digitale Fotografie macht es möglich, gerade solche Bildfehler einfach und mit kostenlosen Programmen zu beheben. Analog ist mehr erlaubt ;)


    Den vier Thesen von Tri-X kann ich mich dagegen uneingeschränkt anschließen.

  • Zitat von "murmel"


    Bis auf zwei deiner Punkte stimme ich dir durchaus zu


    Zwei nur? Ich gehe sogar soweit, dass es zu allen Regeln (die Wachshaut-Regel ausgenommen ;) ) Bilder gibt, die ich wegen einem Verstoß gegen diese mies finde... :P


    Es kommt einfach immer auf das spezielle Bild/Motiv an.. So stört mich ein leicht schiefer Horizont sehr bei einem "normalen" Landschaftsbild mit Wasserlinie.. Andersrum kann ein schiefer Horizont bspw. bei einem schräg im Wasser liegenden Segelboot durchaus förderlich oder wieder bei anderen Motiven egal sein..

  • Für mich sind bei einem Bild wichtig:
    Bildaussage/Bildinhalt
    Optischer Gesamteindruck

    und zwar in genau dieser Reihenfolge. Wenn mir bauchgefühlmäßig daraufhin ein Bild gefällt, dann auch gerne mal,
    wenn es sich außerhalb aller "Regeln" bewegt.

    "Es kann von keinem vernünftigen Menschen jeden Tag was Gescheites kommen." Hans Meyer

  • Zitat von "murmel"


    2. Ein schiefer Horizont aus Nachlässigkeit (ohne "künstlerischen Aspekt") ist Käse und kein Grund, den Kritiker als Galerieclown zu bezeichnen... Die digitale Fotografie macht es möglich, gerade solche Bildfehler einfach und mit kostenlosen Programmen zu beheben. Analog ist mehr erlaubt ;)


    Ein absichtlich schiefer Horizont mit "künstlerischem Aspekt" ist allerdings mindestens genauso oft Käse, letztendlich kommt es ja eh immer aufs Gesamtbild an.


    Ein Portrait, das vom Gesamtbild schon darauf ausgelegt ist, nicht auf die Augen fokussiert zu sein, kann z.B. wunderbar sein. Wenn man aber einfach nur nicht auf die Augen fokussiert hat, um diese "Regel" mal eben zu brechen, dann bringt das nix. Dann ist es halt einfach nur ein fehlfokussiertes Portrait.

    • Offizieller Beitrag

    Vielleicht sollte man nicht von Regeln sprechen sondern von Punkten, auf die man achten kann, wenn man fotografiert oder ein Bild bearbeitet, sodass man in jedem Einzelfall entscheidet, was zu tun ist:
    Achte auf:
    - Lage des Hauptmotivs, Lage des Horizonts im Bild
    - Belichtung, Überstrahlungen, abgesoffene Stellen
    - Belichtungszeit (Einfrieren von Bewegung oder fließen lassen)
    - Wo liegt der Fokus? Schärfe, Tiefenschärfe
    - Abschattung des Objektivs, Lensflares
    - Verzeichnungen, Vignettierung, Chromat. Aberrationen
    - stürzende Linien
    - Rauschen und Rauschunterdrückung
    - Farbstiche, Weißabgleich
    - Beziehung Vordergrund - Hintergrund
    - störende Bildelemente
    - Retusche
    ...

  • Zitat von "bertram"

    Lese ich aus den vorigen Beiträgen heraus, dass überhaupt kein Zusammenhang besteht zwischen Beachtung von Regeln und einem guten Ergebnis?


    ähem, Ironiedetektor defekt?

  • Mir fällt da grad noch eine weitere Regel dazu ein:
    11. Abbe Körperteile sind Teufelswerk! Nur Kopf ist ok, Oberkörperportrait ist ok, Ganzkörper ist ok.. Aber wehe, man schneidet einen Fuß ab, eine Hand, ein Ohr, Ellenbogen, Hintern, Zopf, Bauch-Beine-Po :mrgreen: , dann wird das Bild nie in den Himmel kommen, sondern muss direkt in den Müll..

  • Regeln sind ja oft nichts anderes als gemittelter Mainstream, statistisch .... sowas gibt es auch bei Sehgewohnheiten, die sehr wohl auch schon durch Betrachter aus unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich ausfallen können.
    Die Einhaltung von Regeln macht einen gewissen Sinn, wenn sie sowieso den eigenen Sehgewohnheiten entsprechen (aber dann achtet man meist auch schon unterbewusst darauf, ohne eine Intelektuelle Leistung dafür erbringen zu müssen) und wenn man soziale Beachtung und Anerkennung für seine Werke erzielen möchte. Wenn´s um Streicheleinheiten oder Geld geht (für manch einen schon das Gleiche) ist das Kennen allgemeiner Regeln schon ganz hülfreich.
    Einem guten Bild wirds nicht schaden, ein weniger Gutes kann man bis zu einem gewissen Grad damit noch schönreden, technische "Brillianz" die mangelnde Inhalte überdeckt (was heuer auch zum Mainstream gehört), was ganz Schlechtes lässt sich damit natürlich auch nicht retten. Ein gutes Bild kann auch gegen alle regeln verstossen, das wird dann aber am Inhalt liegen der direkt auf den Betrachter einschlägt ... gibts ja auch genug.
    Klar sollte man die Regeln kennen, unabhängig davon ob man sie einhalten möchte oder kann oder will. Aber vielleicht wäre es bei manch Amateur sinnvoller vor solchen Kompositionsregeln die generellen technischen Grundlagen und Zusammenhänge zu kennen. Ich bin schon (real und im grossen blauen) Fotografen begegnet, die zwar den goldenen Schnitt und wo was am besten auf dem Bild zu verteilen wäre, kannten, denen aber die Zusammenhänge zwischen Blende/Verschlußzeit/ISO ... äh, für was auch, Automatik und Stabi richtens ja (warum jemand mit einem 1,4/85 mit Fotoshop künstliche freistellung betreibt, anstatt seinen Glaspalast von f:8 auf was passenderes zu setzen, werd ich auch nie verstehen)
    Fotografieren ist a. Handwerk, womit primär die Kenntniss ob des passenden Umganges mit der Gerätschaft gemeint ist (von mir, andere dürfen abweichende Meinungen vertreten) und, nein ich sach jetzt NICHT Kunst, private Selbstverwirklichung, zumindest wenn man Amateur ohne finanzielle Interessen ist. Ich denk gar nicht an Regeln, ich fotografiere adäquat zu meinen Sehgewohnheiten, da halte ich als normalsozialisierter Mitteleuropäer eh ein paar Regeln unbewusst ein ...


    Subjektiv
    natürlich sind deine Regeln der heilige Gral für jeden engagierten Knipser, der in der Forenwelt was werden will, ich wäre dafür sie in güldenen Lettern übers Eingangsportal zu tackern :mrgreen:

    Sony α7r III / SEL24105G & Canon EF via Metabones V und Altglas

    In der Natur gibt es weder Belohnungen noch Strafen.

    Es gibt Folgen.

  • es gibt so etwas wie "Harmonie" auch in der darstellenden Kunst.
    Das ist aber nichts festgelegtes, sondern etwas "entdecktes".
    Der Mensch (durchschnittlich) empfindet "harmonisches" als angenehm. Harmonie in Farben, Formen, Kontraste. Kompositionen dieser Bestandteile in einem Gesamtwerk.
    Daraus resultiert z.B. der "goldene Schnitt".


    Ausnahmen, z.B. ne Freejazzsession bestätigen diese Regel.

  • Vielen Dank für die köstliche Zusammenstellung :thumbup: :lol: ! Ich würde eher von den allgemeinen Galerie-Konventionen sprechen.


    Manche Regel (z.B. schiefer Horizont) liegt mir näher, wobei ich gebogene Horizonte mitunter nett finde :) . Andere Regeln (z.B. Gesicht-Hobel, apper Arm, mittiger Horizont) tangieren mich allenfalls peripher.
    Mit so Punkten wie Rauschkonzert und ausgefressenen Gesichtern & Co. mache ich es von der Gesamtwirkung abhängig.


    Zitat von "Subjektiv"

    [...]
    8.Fließendes oder spritzendes Wasser darf ausschließlich in Langzeitbelichtungen dargestellt werden. Die früher gelegentlich noch praktizierte Unart, Wasser mit Verschlusszeiten kürzer als 1/10 sek. darzustellen, führt bei unerfahrenen usern zur Verwechslung mit Eiszapfen und hat auf modernen Foren nichts verloren. Einzige Ausnahme: das Spezialgebiet einschlagender Wassertropfen. [...]


    Das habe ich beim Betrachten der Galerie auch oft gedacht. Früher (Bj. 69) sah Wasser noch lebendig aus. Jetzt meint man, wenn man durch die diversen Galerien wandert, es sei entweder watteartig oder fest wie Glas oder eine Resopal-Platte.


    Ich denke für meinen Teil, dass es nicht schadet die aufgezählten Punkte zu kennen, um sie für sich selbst bewusst verwerfen oder anwenden zu können. Wobei ich zugebe, dass ich als Galerie-Anfänger davon eher verunsichert wurde. Etwas Verunsicherung ab und zu schadet aber meines Erachtens aber auch nicht, um sein Tun von Zeit zu Zeit zu überdenken.
    Wenn ich sagen könnte, ich sei in jeder Hinsicht angekommen, würde mich dies Hobby evtl. langweilen.

    Von mir eingestellte Bilder dürfen bearbeitet und bei dft gezeigt werden.

    • Offizieller Beitrag

    Die Entdeckung und Erarbeitung, Verfeinerung, Fortschreibung über Mediengrenzen (Malerei, Plastik, Architektur, Fotografie, Grafik usw.) hinweg und Abwandlung bis zum Bruch der geschmähten Regeln hat ein paar tausend Jahre Geschichte. Zu sagen, 'das interessiert mich nicht' ist mir persönlich zu kurz gesprungen. Für mich gehören Inhalt und Form untrennbar zusammen. Die Form transportiert den Inhalt, wertet und bietet Hinwiese zur Interpretation. Von daher ist die Kenntnis von Gestaltungsregeln (oder ein intensiv gelebtes Bauchgefühl) wesentlich für das Gelingen herausragender Bilder.


    War jetzt ganz ohne Humor, ich weiss... :oops:

  • Zitat von "Subjektiv"


    1.Ein Bild muss immer rasierklingen-scharf sein. Und zwar möglichst bis in die letzte Ecke! Dazu kommen bevorzugt Vollformat-Sensoren, Festbrennweiten und Stative ab 10kg Eigengewicht zum Einsatz. Kleinere Unschärfebereiche, auch und vor allem bei weniger wichtigen Bildelementen, sind keinesfalls zu tolerieren. Freistellung durch Hintergrund-Unschärfe ist im genehmigungspflichtigen Einzelfall erlaubt, aber nur wenn ein eindeutig benanntes Hauptmotiv wiederum superscharf ist.


    Falsch. Ein Bild muss sich in Unschärfe - neudeutsch Bokeh - auflösen. Wenn auch nur eine Wimper oder gar Pore :P scharf ist und nicht nur die Iris, wenn der Papierkorb am gegenüberliegenden Seeufer als selbiger zu erkennen ist oder die Blüte unter der Schwebfliege in echtem Gras steht, so wird man heutzutage mit Weihwasser bespritzt.


    Zitat von "Subjektiv"


    2.Kein Bildbereich darf überstrahlt («ausgefressen») oder komplett schwarz («abgesoffen») sein, und sei es irgendein noch so kleiner Bereich in den Wolken oder Reflexionen auf dem Wasser. Bei Sonne als direkter Lichtquelle im Bild (Gegenlicht) ist auf eine hinreichende Struktur der Sonnenoberfläche zu achten. Überstrahlte Pixel lassen sich elektronisch ermitteln und sind grundsätzlich undiskutabel, während Schwarzstellen bis zu 1% der Gesamt-Bildfläche u.U. akzeptiert werden.


    Richtig. HDR und Tonemapping heißen die adäquaten Mittel, um unrealistisch beschnittenen Hell/Dunkelzonen augenfreundliche, dem gewohnten Seheindruck entsprechende Natürlichkeit zu verleihen.


    Zitat von "Subjektiv"


    3.Lens-flares bei Gegenlicht-Aufnahmen, egal welcher Größe oder Stärke, zeugen in jedem Fall von minderwertigen Optiken (sogenannten Flaschenböden) und führen automatisch zur Disqualifikation. Lens flares lassen sich ja auch einfach vermeiden, indem man die Lichtquelle immer exakt in der Bildmitte positioniert!


    Richtig. Lens-flares gehören entweder per Firmware rausgerechnet oder im Nachhinein per Software reingerechnet. Andersherum ist Mist. In China arbeiten Entwickler übrigens schon an einer Softbox für die lästige Sonne.


    Zitat von "Subjektiv"


    4.Keine Gnade bei tonnenförmigen oder kissenförmigen Verzeichnungen! Auch wenn das Vergehen nur mit einem hochwertigen Schreiner-Winkel nachweisbar ist – wehe dem, der dabei erwischt wird!


    Falsch. Ohne tonnenförmige Verzeichnung würden diejenigen, die ein Bild in die FC-Galerie voten sollen (und auch alle gemeinen Mitforisten) ja gar nicht erkennen, dass man nun auch zum hippen Kreis der Ultraweitwinkel-Fotografen zählt. Und ohne diese Verzeichnung könnte ich in Foren weder über krumme RAW-Dateien, noch über eine hyperintelligente JPEG-Engine parlieren.


    Zitat von "Subjektiv"


    5.Keine Chance den stürzenden Linien. Was für Anfänger aussehen mag wie eine natürliche Fluchtpunkt-Perspektive in vertikaler Richtung (Türme verjüngen sich nun einmal scheinbar nach oben hin), ist im Zeitalter der elektronischen Biegevorrichtungen nicht zulässig: stürzende Linien sind in jedem Fall zu begradigen, und sei es auf Kosten völlig verzerrter Proportionen.


    Richtig. Möchtest Du etwa breitere Hüften als Schultern haben? Nein? Siehst Du.


    Zitat von "Subjektiv"


    6.Niemals – ich wiederhole: niemals - darf der Horizont in der Mitte verlaufen! Auch dann nicht, wenn Ruhe und Stabilität vielleicht grade zur Bildaussage gehören, oder wenn durch Farben und vertikale Formen ein spannender Gegenakzent gesetzt wird. Mittige Horizonte führen automatisch und immer zur Abwertung.


    Richtig. Man könnte in den Verdacht geraten im kreativen Loch zu stehen wenn man sich nicht zwischen einem Drittel da und zwei Dritteln dort entscheiden kann.


    Zitat von "Subjektiv"


    7.Noch schlimmer als mittige Horizonte sind schiefe oder gebogene Horizonte. Erfahrene Fotografen und Bildkritiker haben immer einen laser-justierten Maschendraht vor ihrem Bildschirm gespannt und decken unbarmherzig Abweichungen ab fünf Bogenminuten auf.


    Falsch. Schiefe Horizonte werden zunehmend en vogue in Zeiten, wo sich gestandene Profis und Edelamateure spiegel- und sucherlose Systemkameras einen halben Meter vor den schwankenden Kopp halten.


    Zitat von "Subjektiv"


    8.Fließendes oder spritzendes Wasser darf ausschließlich in Langzeitbelichtungen dargestellt werden. Die früher gelegentlich noch praktizierte Unart, Wasser mit Verschlusszeiten kürzer als 1/10 sek. darzustellen, führt bei unerfahrenen usern zur Verwechslung mit Eiszapfen und hat auf modernen Foren nichts verloren. Einzige Ausnahme: das Spezialgebiet einschlagender Wassertropfen.


    Richtig. Im Umkehrschluss ist es fototechnisches Unvermögen, wenn man beim ablichten von Formel 1-Rennern auf der Zielgeraden nicht kurz genug belichten kann um die einzelnen Feinstaubpartikel beim Austritt aus dem Auspuffsystem zählen zu können.


    Zitat von "Subjektiv"


    9.Pixel-Rauschen ist eine Todsünde, ebenso wie das «Verschmieren» von winzigen Details wie z.B. einzelnen Haaren oder Sandkörnern über Rauschunterdrückung, egal ob letztere kameraintern oder per Software nachträglich vorgenommen wird. Wer nicht über großformatige Sensoren und lichtstarke Objektive verfügt (sondern z.B. über eine praktische, kleine Westentaschen-Kamera), hat das Fotografieren deshalb mit Beginn der Dämmerung einzustellen.


    Teils teils. Ja, rauschen ist eine Todsünde. Verschmierte Details dagegen nicht, denn wo nichts ist gibt's auch nichts zu meckern.


    Zitat von "Subjektiv"


    10.Bei Portraits ist darauf zu achten, dass die gesamte sichtbare Haut eine homogene Fläche darstellt. Natürliche Unregelmäßigkeiten (Sommersprossen, Fältchen etc.) entsprechen nicht dem Trend zum perfekten Körper und sind deshalb mit Schminke oder schlimmstenfalls per Software vollständig zu eliminieren.


    Richtig. Barbie hat noch nicht mal Hupen, belly-button oder Mumu. Und trotzdem ist sie seit etwa einem halben Jahrhundert ein Superstar.




    Btw., Regeln sind dafür da gebrochen zu werden. Man denke an die großen Impressionisten, an Dada, Otto Mühl und viele andere.
    Letztendlich muss das eigene Bild eh nur einem selbst gefallen. :) Wer online-Galerien zu ernst nimmt muss mit den üblichen Zwangsjacken (und Wichtigtuern) halt leben. :pink: