Hallo Leute,
wenn man so durch das eine oder andere Foto-Forum geistert, stößt man bei den Kommentaren häufig auf bestimmte mainstream Meinungen und Maßstäbe, denen die ausgestellten Bilder implizit oder explizit unterworfen werden. Auch wenn solche Regeln (derzeit) mehrheitsfähig sind, meine ich, dass es sich lohnt, sie immer wieder mal auf den Prüfstand zu stellen. Dazu habe ich mal 10 "Goldene" formuliert, um sie zur Diskussion zu stellen. Stimmt Ihr zu, lehnt Ihr sie ab? Gibt es weitere wichtige Anleitungen auf dem Weg zum automatisch perfekten Foto? Unterstützende oder Gegenbeispiele (gerne verlinkt), Vergleiche? Auf dass der Spaß nicht zu kurz kommen möge, sind meine Startpositionen mal etwas überspitzt formuliert - also:
1.Ein Bild muss immer rasierklingen-scharf sein. Und zwar möglichst bis in die letzte Ecke! Dazu kommen bevorzugt Vollformat-Sensoren, Festbrennweiten und Stative ab 10kg Eigengewicht zum Einsatz. Kleinere Unschärfebereiche, auch und vor allem bei weniger wichtigen Bildelementen, sind keinesfalls zu tolerieren. Freistellung durch Hintergrund-Unschärfe ist im genehmigungspflichtigen Einzelfall erlaubt, aber nur wenn ein eindeutig benanntes Hauptmotiv wiederum superscharf ist.
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2.Kein Bildbereich darf überstrahlt («ausgefressen») oder komplett schwarz («abgesoffen») sein, und sei es irgendein noch so kleiner Bereich in den Wolken oder Reflexionen auf dem Wasser. Bei Sonne als direkter Lichtquelle im Bild (Gegenlicht) ist auf eine hinreichende Struktur der Sonnenoberfläche zu achten. Überstrahlte Pixel lassen sich elektronisch ermitteln und sind grundsätzlich undiskutabel, während Schwarzstellen bis zu 1% der Gesamt-Bildfläche u.U. akzeptiert werden.
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3.Lens-flares bei Gegenlicht-Aufnahmen, egal welcher Größe oder Stärke, zeugen in jedem Fall von minderwertigen Optiken (sogenannten Flaschenböden) und führen automatisch zur Disqualifikation. Lens flares lassen sich ja auch einfach vermeiden, indem man die Lichtquelle immer exakt in der Bildmitte positioniert!
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4.Keine Gnade bei tonnenförmigen oder kissenförmigen Verzeichnungen! Auch wenn das Vergehen nur mit einem hochwertigen Schreiner-Winkel nachweisbar ist – wehe dem, der dabei erwischt wird!
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5.Keine Chance den stürzenden Linien. Was für Anfänger aussehen mag wie eine natürliche Fluchtpunkt-Perspektive in vertikaler Richtung (Türme verjüngen sich nun einmal scheinbar nach oben hin), ist im Zeitalter der elektronischen Biegevorrichtungen nicht zulässig: stürzende Linien sind in jedem Fall zu begradigen, und sei es auf Kosten völlig verzerrter Proportionen.
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6.Niemals – ich wiederhole: niemals - darf der Horizont in der Mitte verlaufen! Auch dann nicht, wenn Ruhe und Stabilität vielleicht grade zur Bildaussage gehören, oder wenn durch Farben und vertikale Formen ein spannender Gegenakzent gesetzt wird. Mittige Horizonte führen automatisch und immer zur Abwertung.
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7.Noch schlimmer als mittige Horizonte sind schiefe oder gebogene Horizonte. Erfahrene Fotografen und Bildkritiker haben immer einen laser-justierten Maschendraht vor ihrem Bildschirm gespannt und decken unbarmherzig Abweichungen ab fünf Bogenminuten auf.
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8.Fließendes oder spritzendes Wasser darf ausschließlich in Langzeitbelichtungen dargestellt werden. Die früher gelegentlich noch praktizierte Unart, Wasser mit Verschlusszeiten kürzer als 1/10 sek. darzustellen, führt bei unerfahrenen usern zur Verwechslung mit Eiszapfen und hat auf modernen Foren nichts verloren. Einzige Ausnahme: das Spezialgebiet einschlagender Wassertropfen.
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9.Pixel-Rauschen ist eine Todsünde, ebenso wie das «Verschmieren» von winzigen Details wie z.B. einzelnen Haaren oder Sandkörnern über Rauschunterdrückung, egal ob letztere kameraintern oder per Software nachträglich vorgenommen wird. Wer nicht über großformatige Sensoren und lichtstarke Objektive verfügt (sondern z.B. über eine praktische, kleine Westentaschen-Kamera), hat das Fotografieren deshalb mit Beginn der Dämmerung einzustellen.
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10.Bei Portraits ist darauf zu achten, dass die gesamte sichtbare Haut eine homogene Fläche darstellt. Natürliche Unregelmäßigkeiten (Sommersprossen, Fältchen etc.) entsprechen nicht dem Trend zum perfekten Körper und sind deshalb mit Schminke oder schlimmstenfalls per Software vollständig zu eliminieren.
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Bin gespannt auf Eure Meinungen,
gruß subjektiv
P.S.: "Themengalerie" ist vielleicht nicht exakt die richtige Kategorie für diesen Thread, aber "Fotografie-Praxis" erschien mir ganz sinnvoll, und eine Kategorie für "Bildgestaltung" gibt es interessanterweise nicht. Bitte an die admins, den thread ggfs. umzuhängen.